Vorsatz und Begierde
versicherten – und hatte sich in ein lärmendes und so verwirrendes Labyrinth provisorischer Durchgänge und Wegweiser verwandelt, daß man nur mit Mühe zu den Zügen fand. Nachdem er einmal falsch abgebogen war, landete er auf einer Piazza mit spiegelblank glänzendem Fußboden und fühlte sich vorübergehend so unsicher, als befände er sich in einer ausländischen Großstadt. Bei seiner Ankunft am Vormittag war er weniger verwirrt gewesen, doch nun verstärkte der Bahnhof noch sein Gefühl, sich sowohl körperlich als auch gefühlsmäßig auf unbekanntes Terrain vorgewagt zu haben.
Sobald sich der Zug in Bewegung setzte, lehnte er sich mit geschlossenen Augen zurück und versuchte Ordnung in die Erlebnisse des vergangenen Tages und seine widerstreitenden Gefühle zu bringen. Statt dessen schlief er jedoch fast augenblicklich ein und rührte sich nicht, bis der Zug in den Bahnhof von Norwich einfuhr. Aber der Schlaf hatte ihn erfrischt. Mit neuer Energie und forschem Optimismus ging er zum Castle-Parkplatz hinüber. Er wußte jetzt, was er tun wollte: auf der Stelle zum Bungalow fahren, Caroline mit den Beweisen konfrontieren und sie fragen, warum sie ihn belogen hatte. Er konnte sich nicht weiterhin mit ihr treffen und so tun, als wisse er von nichts. Sie waren ein Liebespaar; sie mußten einander vertrauen können. Wenn sie besorgt oder verängstigt war, würde er sie beruhigen und trösten. Sie konnte Hilary nicht ermordet haben, das wußte er. Allein der Gedanke kam ihm frevelhaft vor. Doch wenn sie keine Angst gehabt hätte, hätte sie nicht gelogen. Irgend etwas stimmte da nicht. Er würde sie überreden, zur Polizei zu gehen, zu erklären, warum sie gelogen und ihn ebenfalls zur Lüge überredet hatte. Sie würden beide gemeinsam gehen, gemeinsam gestehen. Er fragte sich nicht, ob sie ihn überhaupt sehen wollte oder ob sie so spät am Samstag zu Hause war. Er wußte nur, daß diese Angelegenheit zwischen ihnen jetzt gleich geregelt werden mußte. Er hatte das Gefühl, daß sein Entschluß richtig und unvermeidlich war, und verspürte sogar einen Anflug von Machtbewußtsein. Sie hielt ihn für einen leichtgläubigen, unfähigen Trottel. Na schön, er würde ihr beweisen, wie sehr sie sich irrte. Von nun an würde es eine kleine Veränderung in ihrem Verhältnis zueinander geben: Sie würde einen selbstbewußteren und weit weniger gefügigen Liebhaber haben.
Vierzig Minuten später fuhr er im Dunkeln durch die flache, langweilige Landschaft zu ihrem Bungalow. Als dieser linker Hand in Sicht kam, wurde er langsamer; wieder einmal fiel ihm auf, wie abgelegen und unattraktiv das Haus doch war, und er fragte sich, wie schon so oft, warum sie ausgerechnet diesen unschönen, fast finsteren Kasten aus rohem Backstein gemietet hatte, wo es doch zahlreiche Dörfer in größerer Nähe von Larksoken und überdies die Attraktionen von Norwich und der Küste gab. Allein die Bezeichnung »Bungalow« erschien ihm schon lächerlich, denn sie erinnerte ihn an Reihenhäuser in Vororten, an gemütliche Ehrbarkeit, an alte Menschen, die keine Treppen mehr steigen konnten. Caroline hätte in einem Hochhaus mit weitem Blick aufs Meer hinaus wohnen müssen.
Und dann sah er sie. Der silberfarbene Golf kam aus der Einfahrt geschossen und beschleunigte noch, während er in östlicher Richtung weiterfuhr. Sie trug zwar eine Wollmütze tief über die blonden Haare gezogen, doch er erkannte sie auf den ersten Blick. Er wußte nicht, ob sie ihn oder seinen Fiesta erkannt hatte, bremste aber instinktiv und ließ sie fast bis außer Sichtweite kommen, bevor er ihr folgte. Und während er da in der stillen Landschaft wartete, hörte er Remus hysterisch bellen.
Er war überrascht, wie einfach es war, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Zuweilen versperrte ihm ein anderer Wagen, der ihn überholte, den Blick auf den metallicfarbenen Golf, und manchmal, wenn sie wegen einer Verkehrsampel oder weil sie in ein Dorf kamen, das Tempo verringerte, mußte er schnell bremsen, damit sie nicht merkte, daß er sie verfolgte. Als sie durch Lydsett kamen, bog sie im Dorf nach rechts zur Landzunge ab. Inzwischen fürchtete er jedoch, daß sie ihn erkannt hatte, daß sie wußte, sie wurde verfolgt, aber sie fuhr scheinbar sorglos weiter. Nachdem sie das Tor passiert hatte, wartete er, bis sie über die Anhöhe verschwunden war, folgte ihr dann, hielt, löschte die Scheinwerfer und ging ein kleines Stückchen zu Fuß. Sie holte also jemanden ab: Ein
Weitere Kostenlose Bücher