Vorsicht, frisch verliebt
und deprimiert war, und fragte sich, wie viele desaströse Fehler sich eine intelligente Frau leisten konnte, ohne dass sie darüber den Verstand verlor. Angesichts des momentanen Zustands ihres Schädels war die Zahl ihrer Fehltritte eindeutig zu hoch.
Ein Schild blitzte im Dunkeln auf, ehe es wieder verschwand. Sie trat auf die Bremse, lenkte den Wagen an den Rand der Straße und fuhr ein Stück zurück. Sie machte sich keine Gedanken, ob da womöglich jemand von hinten kommen könnte - seit ein paar Meilen war weit und breit niemand zu sehen.
Die Toskana hatte den Ruf einer wunderschönen Landschaft, da sie jedoch erst nach Einbruch der Dunkelheit aufgebrochen war, hatte sie davon bisher so gut wie nichts gesehen. Sie hätte früher losfahren sollen, hatte jedoch bis zum Spätnachmittag im Bett gelegen und dann eine Weile am Fenster ihres Hotelzimmers gesessen, hinausgestarrt und vergeblich versucht zu beten.
Das Scheinwerferlicht des Pandas fiel auf das zuvor verpasste Schild. CASALLEONE. Sie schaltete die Innenbeleuchtung ein, spähte auf die Wegbeschreibung und merkte, dass ihr irgendwie die Rückkehr auf die richtige Straße gelungen war. Gott schützte also selbst Idiotinnen wie sie.
Aber, lieber Gott, wo warst du gestern Abend?
Irgendwo anders, klar. Doch sie konnte weder Gott noch all dem Wein, den die getrunken hatte, die Schuld an ihrem Fehltritt geben. Ihre eigene Charakterschwäche hatte sie dazu getrieben, eine derart monumentale Dummheit zu begehen. Sie hatte alles über Bord geworfen, woran sie seit frühester Jugend glaubte, nur um zu entdecken, dass Dr. Favors Meinung wie üblich richtig gewesen war. Sex brachte keine Heilung.
Sie lenkte den Wagen zurück auf die Straße. Wie bei so vielen anderen Menschen hatten ihre Probleme ihren Ursprung in der Kindheit, doch wie lange konnte man den Eltern die Schuld geben an eigenem Versagen? Ihre Eltern - Collegeprofessor und - Professorin - hatten eine ausgeprägte Neigung zum Chaos und zu emotionalen Ausschweifungen gehabt. Ihre Mutter: brillant, alkoholabhängig und stets von ihrer Libido beherrscht. Ihr Vater: ebenfalls brillant, ebenfalls ein Trinker und obendrein so streitsüchtig, dass es mit ihm nicht auszuhalten gewesen war. Obgleich sie auf ihren jeweiligen Fachgebieten als sehr kompetent gegolten hatten, hatte keiner von ihnen beiden je eine dauerhafte Anstellung erlangt. Ihre Mutter hatte ständig Affären mit irgendwelchen Studenten angefangen, und ihr Vater hatte eine Vorliebe für lautstarke Kräche im Kollegenkreis gehabt. Also hatte Isabel den Großteil ihrer Kindheit mit Umzügen zwischen den verschiedensten College-Städten zugebracht und dabei mit ansehen müssen, wie das Leben ihrer Eltern zunehmend außer Kontrolle geraten war.
Während sich andere Kinder danach sehnten, der Disziplin der Eltern zu entfliehen, hatte sich Isabel genau diese Disziplin stets vergeblich gewünscht. Ihre Eltern hatten sie ständig als Faustpfand in ihren Auseinandersetzungen benutzt, und so hatte sie ihnen, aus reinem Selbsterhaltungstrieb, im Alter von achtzehn endgültig den Rücken zugekehrt. Ihr Vater war vor sechs Jahren an einer Leberzirrhose gestorben, und ihre Mutter war ihm kurz darauf gefolgt. Sie hatte ihre Pflicht den beiden gegenüber bis zum Schluss erfüllt, hatte jedoch weniger ihren Tod betrauert als vielmehr die Vergeudung ihrer Leben.
Das Scheinwerferlicht des Wagens fiel auf eine schmale, gewundene, von pittoresken Steinhäusern gesäumte Straße, über die man zu einer Reihe kleiner, jetzt am Abend geschlossener Geschäfte kam. Alles an diesem Städtchen wirkte alt und gemütlich, außer dem an der Wand eines der Häuser klebenden riesigen Mel-Gibson-Filmplakats. In kleineren Buchstaben stand unter dem Titel der Name Lorenzo Gage.
Er traf sie wie ein Fausthieb. Dante hatte sie nicht an eine Figur aus einem Renaissance-Gemälde erinnert, sondern an Lorenzo Gage, den Mimen, von dem ihre Lieblingsschauspielerin vor kurzem in den Selbstmord getrieben worden war.
Ihr Magen zog sich zusammen. Wie viele Gage-Filme hatte sie gesehen? Vier? Fünf? Eindeutig zu viele, aber Michael hatte eine Vorliebe für Action-Filme gehabt, je gewalttätiger, umso lieber. Nun bräuchte sie nie wieder eines solchen Streifens wegen ins Kino zu gehen.
Sic fragte sich, ob Gage wohl irgendwelche Gewissensbisse wegen Karli Swensons Tod verspürte. Wahrscheinlich wurde sein Ruhm durch ihren Selbstmord noch gesteigert. Weshalb waren nette Frauen so oft von
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