Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorsicht - Mensch!

Vorsicht - Mensch!

Titel: Vorsicht - Mensch! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gordon R. Dickson
Vom Netzwerk:
irgendwo schien er einen Rest seiner nachlassenden Kräfte zu mobilisieren, und statt ihn zu hindern, half ich ihm. So schleppte er sich durch den Eingang.
    Ich erwartete nicht, daß er wieder zum Vorschein kommen würde. Ich glaubte, irgendein Instinkt habe ihn gedrängt, sich zum Sterben in seinen Schlupfwinkel zu verkriechen. Aber kurz darauf hörte ich im Innern der Hütte Steine rollen und poltern, und ein paar Sekunden später kam er rückwärts herausgekrochen. Er war erst halb aus dem Eingang, als seine Kräfte ihn verließen. Er lag eine Weile still, dann pfiff er schwach.
    Ich ließ mich neben ihm auf die Knie nieder und zog ihn ganz heraus. Er drehte seinen Kopf zu mir, und ich sah, daß er etwas zwischen den Zähnen hielt, das wie eine große Kartoffel oder ein Klumpen aus getrocknetem Schlamm aussah.
    Ich nahm das Ding aus seinem Maul und begann den Schlamm mit meinen Fingernägeln wegzukratzen. Bald stieß ich auf die feinkörnige Oberfläche des Sandsteins, den er für seine Arbeiten zu verwenden pflegte – und meine Hände fingen so stark zu zittern an, daß ich innehalten mußte, während ich meine Empfindungen unter Kontrolle brachte. Zum ersten Mal begriff ich die wahre Bedeutung, die diese Dinger für Charlie hatten.
    In diesem Moment schwor ich, daß dieses letzte und größte Werk von ihm in einem angesehenen Museum seinen Platz als echtes Kunstwerk finden sollte, wie bizarr seine Form auch immer sein mochte. Schließlich war es mit der Aufrichtigkeit und der liebevollen Hingabe geschaffen worden, die keine Mühsal scheute, um ihr schöpferisches Ziel zu erreichen.
    Und dann brach der Rest des getrockneten Schlamms wie eine Schale vom bearbeiteten Stein. Ich sah, was es war, und hätte gleichzeitig lachen und weinen können. Denn von allen Formen, die er in Stein hätte arbeiten können, hatte er diejenige gewählt, die kein Kritiker für die Wahl eines Künstlers seiner Rasse gehalten haben würde. Denn er hatte weder Pflanze noch Tier gewählt, keine natürliche Form oder Struktur aus seiner Umgebung, um das hungrige Verlangen seines Geistes auszudrücken. Nichts von alledem hatte er gewählt – statt dessen hatte er mit schmerzlicher Unbeholfenheit ein Bild nach seiner Vorstellung aus dem weichen Stein genagt: die Statuette eines stehenden Mannes.
    Und ich wußte, welcher Mann es war.
    Charlie hob seinen Kopf vom Boden und blickte zum Wasserarm, wo meine Maschine wartete. Ich bin nicht gerade ein intuitiver Mensch, aber diesmal konnte ich die Bedeutung eines Blicks verstehen. Er wollte, daß ich ginge, solange er noch am Leben wäre. Er wollte mich mit dem Bildwerk, das er gemacht hatte, fortgehen sehen. Ich stand auf, hob die kleine Plastik in die Höhe und gab durch Mienenspiel und Gestik zu erkennen, daß ich sie für überaus gelungen hielte und mitnehmen wolle. Dann stolperte ich davon. Am Rand der Lichtung blickte ich zurück. Er beobachtete mich noch immer. Und die übrigen Dorfbewohner verharrten im Hintergrund. Ich glaubte nicht, daß sie ihn jetzt noch behelligen würden. Unwillkürlich hob ich meine freie Hand zu einem letzten Gruß, dann arbeitete ich mich auf dem schmalen Trampelpfad zurück zur Maschine. Gestrüpp und Röhricht schlugen hinter mir zusammen.
    Und so kam ich nach Hause.
    Aber es gibt noch etwas zu erzählen. Nach meiner Rückkehr von Elmans Welt sah ich die plumpe Statuette lange Zeit nicht an. Ich wollte es nicht, denn ich wußte, daß es nur bestätigen würde, was ich längst wußte: daß alle Sehnsucht und aller Fleiß der Welt keine Kunst schaffen können, wo Talent und schöpferische Phantasie fehlen. Aber gegen Ende des Jahres räumte ich mein Büro auf. Und weil ich an System und Ordnung in der Arbeit glaube – und weil ich mich schämte, daß ich es so lange hinausgeschoben hatte –, nahm ich die Statuette aus der untersten Schreibtischschublade, wickelte sie aus ihrem staubigen Zeitungspapier und setzte sie auf die polierte Schreibtischplatte.
    Ich war allein im Raum, und die Nachmittagssonne flutete durch das große Fenster und berührte alles, was zwischen den Wänden war, mit einem klaren, bernsteinfarbenen Licht. Ich strich mit den Fingerspitzen über den körnigen Sandstein, dann hob ich die kleine Plastik auf, um sie genauer zu betrachten.
    Und ich sah sie zum ersten Mal – sah durch den Stein auf das Vorstellungsbild dahinter, sah, was der schwarze Charlie gesehen hatte, mit seinen Augen, wenn er Longan angeschaut hatte. Ich sah den Menschen,

Weitere Kostenlose Bücher