Vorsicht Nachsicht (German Edition)
selbstverliebte Egobezeugungen fehlt mir das Selbstbewusstsein. Wenn ich früher in den Spiegel geschaut habe, blickte ich in die grünen Augen eines dünnen, unscheinbaren, kleinen Schuljungen mit kurzen Haaren und einem schmalen, blassen Gesicht. Keiner bemerkte mich. Und wenn sich doch einmal ein Blick in meine Richtung verirrte, dann blieb er nie lange an meiner schmächtigen Gestalt hängen. Warum auch? Ich war langweilig. Grau wie eine Maus.
Heute, mit siebenundzwanzig Jahren, hat sich das etwas geändert. Ich bin nicht sehr groß. Gerade mal 1,78 m. Mein Haar ist immer noch dunkelbraun, aber der Schnitt hat sich mit den Jahren etwas geändert. Hinten trage ich das Haar modisch kurz, vorne fallen mir längere Strähnen in die Stirn. Auch meine Figur ist nicht mehr die eines schwachen Schuljungen. Ich bin zwar immer noch schlank, aber nicht mehr ganz so schmächtig. Die täglichen Laufeinheiten und die gelegentlichen Besuche im Fitnesscenter haben ihren Teil dazu beigetragen.
Ich bin zufrieden mit meinem Äußeren und genieße die interessierten Blicke auf der Straße, die mir gelegentlich folgen. Für Eitelkeit und Arroganz reichen sie aber noch lange nicht aus.
Mit schnellen Handgriffen rasiere ich mich, putze mir die Zähne und verteile sparsam ein paar Tropfen Parfum auf Hals, Brust und Handgelenke.
»… das war ein Hit aus den 80er Jahren von Soft Cell: Tainted Love . Es ist nun ganz genau sieben Uhr an diesem verregneten Freitagmorgen und wir steuern auf ein schönes Wochenende zu…« Der Radiomensch kündigt die Nachrichten an, als ich mir das dunkelblaue Hemd zuknöpfe. Ich werfe einen schnellen Blick in die riesigen Spiegeltüren meines Kleiderschranks. Schwarze, enge Stoffhose, dunkles, figurbetontes Hemd. Klassisch. Elegant. Zögerlich fummle ich an einem der oberen Knöpfe des Hemds herum. Offen lassen oder schließen? Ich seufze und mache ihn sicherheitshalber zu. Mit kritischer Miene betrachte ich meine Frisur, entscheide dann aber, dass es wohl nicht besser geht, und verlasse eilig das Schlafzimmer.
Eine ernste Stimme berichtet gerade über die neusten Konflikte im Nahen Osten, als ich das Radio ausschalte. Kontrollierend lasse ich meinen Blick durch die kleine, saubere Wohnung gleiten. Alle Fenster sind geschlossen? Gut. Der Herd ist aus? Auch gut. Elektronische Geräte sind aus? Ja.
Okay. Zufrieden schnappe ich mir mein schlichtes, schwarzes Jackett und die modische Umhängetasche, die viel zu teuer gewesen ist, die ich aber trotzdem unbedingt haben musste.
Eilig schließe ich die Wohnungstür hinter mir. Mit langen Schritten haste ich die Stufen in den zweiten Stock hinunter.
Es befinden sich immer zwei Wohnungen auf einem Stockwerk. Ich bleibe vor der linken Tür stehen. Ohne lange suchen zu müssen, wähle ich einen Schlüssel an meinem Schlüsselbund aus. Ich stecke ihn ins Schloss und drücke gleichzeitig auf den Klingelknopf neben der Tür.
»Agnes!«, rufe ich, als ich den dunklen Flur betrete. Ohne auf eine Antwort zu warten, durchquere ich den schmalen Raum und klopfe hart an eine geschlossene Holztür.
»Hm…?«
Ich öffne die Tür und stecke den Kopf in das Zimmer.
»Guten Morgen, Schlafmütze«, sage ich freundlich. »Steh auf, es ist schon sieben.«
»Max?«, fragt eine dünne Stimme aus der Dunkelheit.
Ich seufze. Ja, natürlich bin ich es. Wer denn auch sonst?
Blind gehe ich zum Fenster und ziehe den Rollladen nach oben. Trübes Tageslicht fällt in den kleinen Raum. Das einzige Möbelstück, das diese Bezeichnung auch verdient hat, ist ein großes, altes Bett, dessen Gestell aus massivem Eisen ist. Es steht an einer der vier Wände, umgeben von nichts außer Büchern, die sich auf dem Parkett stapeln, zahlreichen abgebrannten und neuen Kerzen in allen Größen und einigen wild wuchernden Zimmerpflanzen. Kleidungsstücke und Kissen, liegen verstreut auf dem Boden.
»Ich muss jetzt zur Arbeit«, sage ich. »Du stehst auf und frühstückst etwas. Ja?« Ich warte auf eine Antwort. Es ist immer dieselbe. Jeden Morgen.
»Ja…« Die dünne Stimme klingt verschlafen.
Ich betrachte den mausbraunen Haarschopf, der unter der Bettdecke hervorlugt. Das schmale, blasse Gesicht ist mir zugewandt, graue, übergroße Augen blinzeln mich glasig an.
»Heute wird der Müll abgeholt«, sage ich ernst. »Denk daran, ihn runter zu bringen. Mach das am besten gleich.«
»Okay…«
Ich bin mir sicher, sie vergisst es, sobald ich die Wohnung verlassen habe. So wie sie fast alles
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