Vorsicht Nachsicht (German Edition)
entlang.
Kaum, dass sich die automatischen Türen geöffnet haben, drängen sich die Wartenden schiebend und schubsend ins Innere der Bahn.
Ich lasse der jungen Frau den Vortritt und ernte dafür ein dankbares Lächeln. Damit habe ich meine Grobheit von eben wohl wieder ausgebügelt.
Im Inneren des Wagons suchen sich die gereizten Pendler einen Sitzplatz. Rücksicht wird hier klein geschrieben. Ich setze mich neben einen Jungen, den ich nicht älter als fünfzehn schätze, aber so genau kann man das ja heutzutage nie sagen. In seinen Ohren stecken zwei Kopfhörerstöpsel, die mit seinem Handy verbunden sind. Der Junge lässt sich von lauter HipHop-Musik beschallen. Ich kann jedes Wort verstehen. Derbe Ausdrücke reihen sich an seltsam verzerrte, englische Begriffe. Ein Kauderwelsch, der mich schaudern lässt. Auf einmal fühle ich mich sehr alt.
Die breiten Fensterscheiben sind beschlagen. Die Luft im Wagon ist dunstig und schlecht. Ich vermeide es, tief Luft zu holen.
Der Blick aus den Fenstern zeigt düstere Tunnelgänge und schmutzige Betonwände. Ich zähle innerlich die Sekunden bis die Bahn endlich langsamer wird. Eine Frauenstimme vom Band kündigt die nächste Station an. Erst auf Deutsch, dann auf Englisch. Gemeinsam mit einem Großteil der Fahrgäste erhebe ich mich, als wir in die unterirdische Station einfahren.
Auf dem Bahnsteig eile ich schnellen Schrittes auf die Rolltreppen zu. In der modernen, großen Bahnhofshalle ist wie immer eine Menge los. Reisende und Pendler hasten zwischen den Gleisen hin und her. Manche haben es unheimlich eilig, andere trödeln und stehen etwas verloren im Weg herum. Immer wieder schallen Lautsprecherdurchsagen durch die Luft. An den zahlreichen Imbissständen haben sich längere und kürzere Schlangen gebildet. Die müden Menschen sehnen sich nach einem heißen Kaffee.
Auch ich steuere hungrig einen kleinen Laden am hinteren Ende der belebten Halle an. Starbucks. Total überteuert, aber sehr lecker. Hier hole ich mir jeden Morgen meinen Kaffee und ein Sandwich.
Der Geräuschpegel und der hektische Betrieb der Halle verstummen, als sich die Eingangstür des Coffeeshops hinter mir schließt.
»Morgen«, sage ich und nicke dem Typen zu, der hinter der langen Theke steht und gerade eine Kundin bedient.
»Morgen, Max.« Der Mann lächelt mich an. Er hat nicht einmal aufgeschaut. Ist nicht nötig, er weiß auch so, dass ich es bin. »Der Mensch ist ein extrem wetterfühliges Wesen«, sagt er nun zu der Kundin. »Man kann es nicht bestreiten. Es gibt definitiv genug Beweise für diese These. Die Selbstmordrate in den grauen Wintermonaten ist nur ein Beispiel.«
Die Frau, eine korpulente Dame, die ihre langen Haare mit Henna karottenrot gefärbt hat, nickt hastig. »Da haben Sie vollkommen recht«, bestätigt sie ernst. »Beim Wetterumschwung bekomme ich immer sehr starke Kopfschmerzen…«
»Wirklich?«
»Es ist schrecklich.«
»Das glaube ich. Aber auch auf unseren emotionalen Gemütszustand hat das Wetter einen unglaublichen Einfluss…«
Ich verschränke die Arme vor der Brust und mache ein möglichst ungeduldiges Gesicht. Der Typ hinter der Theke heißt Eddi. Zumindest steht das auf dem Namensschildchen, das er an seinem weißen Hemd angebracht hat. Vielleicht wurde ihm dieser Name auch nur von der Geschäftsführung verpasst, weil er sich so wunderbar in das Image des Unternehmens einfügt. Von einem Eddi lässt man sich doch viel lieber einen Muffin verkaufen, als von einem Jochen oder einem Torben .
Eddi ist ein schlanker, kleiner Mann. Er hat kurzes, dunkles Haar und kleine, dunkle Augen. Alles in allem ist er unheimlich nichtssagend und fast schon langweilig. Er arbeitet bereits seit einigen Jahren hier. Und immer dann, wenn ihn das Kaffee verkaufen mal wieder nicht intellektuell ausfüllt, fängt er an, mit seinen Kunden über Gott und die Welt zu philosophieren. Eddi ist ein großer Laienphilosoph. Er hat zu jedem Thema eine These und auch fast immer Fakten – die er natürlich nie wirklich belegen kann. Ich bin kein Fan von Menschen, die hinter Glastheken stehen, klebrigen Kuchen verkaufen und dabei mit ihren Weisheiten um sich werfen.
»Einen Augenblick«, sagt er nun zu der Dame und lächelt freundlich.
Dann wendet er sich mir zu.
»Ich hätte gerne…«, fange ich langsam an.
»… einen großen Milchkaffee zum Mitnehmen und dazu ein abgepacktes Salatsandwich.« Eddi grinst breit. »Wie jeden Morgen.«
Er drückt kurz einige Knöpfe an der
Weitere Kostenlose Bücher