Vorübergehend tot
sicher nicht die Welt!“ merkte ich an. „Ihr scheint alle ziemlich viel Geld zu haben.“
„Vampire rauben ihre Opfer aus“, sagte Bill beiläufig. „Am Anfang nehmen wir der Leiche das Geld weg. Später, wenn wir mehr Erfahrung haben, beherrschen wir die Sache so gut, daß wir einen Menschen überzeugen können, uns freiwillig Geld zu geben und dies dann zu vergessen. Einige von uns beschäftigen Manager, die ihr Geld verwalten, andere betätigen sich auf dem Immobilienmarkt, und wieder andere leben von den Zinserträgen ihrer Investitionen. Pam und Eric hatten die Bar zusammen eröffnet, wobei Eric einen Großteil des Geldes stellte und Pam den Rest. Beide kannten Long Shadow seit 100 Jahren, und so haben sie ihn als Barmann eingestellt. Er hat sie betrogen.“ „Was mag ihn veranlaßt haben, die beiden zu bestehlen?“
„Er hatte wohl irgendein Unternehmen vor, für das er Kapital brauchte“, sagte Bill ein wenig geistesabwesend. „Er lebte ja bürgerlich, das heißt, er konnte nicht einfach hingehen, einen Bankdirektor hypnotisieren, damit er ihm sein ganzes Geld gibt, und den Mann hinterher umbringen. Also hat er sich bei Eric bedient.“
„Hätte Eric ihm das Geld nicht auch geliehen?“
„Wenn Long Shadow nicht zu stolz gewesen wäre, um zu fragen, wohl schon“, erwiderte Bill.
Wieder schwiegen wir eine lange Zeit. Schließlich sagte ich: „Ich habe eigentlich immer gedacht, Vampire seien klüger als Menschen, aber das stimmt gar nicht, oder?“
„Nicht immer“, stimmte Bill mir zu.
Als wir die Außenbezirke Bon Temps' erreichten, bat ich Bill, mich zu Hause abzusetzen. Er sah mich von der Seite an, aber er sagte nichts. Vielleicht waren Vampire ja doch intelligenter als Menschen.
Kapitel 10
Als ich mich am nächsten Tag fertigmachte, um zur Arbeit zu gehen, mußte ich mir eingestehen, daß ich von Vampiren erst einmal die Nase voll hatte. Das galt auch für Bill.
Es war an der Zeit, mich daran zu erinnern, daß ich ein Mensch war.
Allerdings einer, der sich ziemlich verändert hatte: Auch das mußte ich mir bei dieser Gelegenheit eingestehen, und darin lag ein gewisses Problem.
Weltbewegend waren die Veränderungen an und für sich nicht, die in mir stattgefunden hatten. Meine erste Bekanntschaft mit Bills Blut - in der Nacht, in der die Ratten mich zusammengeschlagen hatten - hatte quasi im Handumdrehen alle meine Wunden geheilt, und ich hatte mich hinterher gesünder und stärker gefühlt als vorher, ohne jedoch gleich zu denken, ich sei nun ein anderer Mensch. Vielleicht - ja, vielleicht war ich mir schöner und begehrenswerter vorgekommen, das schon.
Seit meinem zweiten Schluck Vampirblut kam ich mir ungeheuer stark und mutig vor, weil ich unversehens viel mehr Selbstvertrauen hatte. Ich fühlte mich wohl und sicher in meiner Sexualität und wußte um deren Kräfte. Zudem schien es ganz offensichtlich, daß ich mit meiner Behinderung weitaus selbstbewußter und selbstbestimmter umgehen konnte.
Long Shadows Blut war mir mehr oder weniger rein zufällig in den Mund geflossen. Als ich jedoch am Morgen nach der schrecklichen Nacht in Shreveport in den Spiegel sah, mußte ich feststellen, daß meine Zähne weißer und spitzer geworden waren. Mein Haar wirkte heller und viel lebendiger als vorher, meine Augen glänzten. Ich sah aus wie wandelnde Reklame für tägliche Körperpflege und gesunde Lebensweise: Leute, eßt mehr Obst! Trinkt mehr Milch! Die üble Bißwunde an meinem Arm (der letzte Bissen, wie mir nun klar wurde, den Long Shadow auf dieser Erde zu sich genommen hatte) war noch nicht vollständig verheilt, aber auf dem besten Wege dazu.
Dann kippte meine Handtasche um, als ich sie hochnehmen wollte, und alles Wechselgeld, das ich lose darin aufbewahrte, rollte mir unter das Sofa. Ich hob daraufhin das Sofa mit der einen Hand hoch und sammelte mit der anderen die Münzen wieder ein.
Oha!
Ich richtete mich auf und holte tief Luft. Immerhin tat das Sonnenlicht meinen Augen nicht weh, und ich wollte auch nicht gleich jeden beißen, der mir über den Weg lief. Ich hatte meinen Frühstückstoast mit Appetit und Vergnügen verzehrt und mich nicht statt dessen nach Tomatensaft gesehnt. Ich war also nicht dabei, mich langsam, aber sicher in eine Vampirin zu verwandeln. Vielleicht war ich jetzt so etwas wie ein erweiterter Mensch?
Mein Leben war ohne Beziehung auf jeden Fall leichter gewesen.
Als ich im Merlottes ankam, waren die Vorbereitungen für den
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