Vorübergehend tot
Steine rinnt. Ich lachte laut auf. Es war einfach alles zu perfekt!
„Kümmern Sie sich nicht um Sookie, Mister, sie ist verrückt“, erklang aus einer der Nischen, die sich an der Wand entlang erstreckten, eine allzu vertraute Stimme. Sofort war mein Glücksgefühl verflogen - auch wenn ich immer noch das Lächeln spürte, das meine Mundwinkel hochzog. Der Vampir, der mich die ganze Zeit prüfend ansah, konnte dabei zusehen, wie alles Leben aus meinem Gesicht wich.
„Ihr Wein kommt sofort“, sagte ich und stolzierte davon, ohne einen einzigen Blick auf Mack Rattrays selbstzufriedenes Gesicht zu werfen. Mack kam fast jeden Abend, zusammen mit seiner Frau Denise. Das Rattenpärchen - so nannte ich die beiden im Stillen. Seit sie den Wohnwagen auf dem Stellplatz bei Four Tracks Corner gemietet hatten, hatten die beiden ihr Bestes getan, mir das Leben zur Hölle zu machen, und ich hoffte sehr, der Wind möge sie ebenso schnell wieder aus Bon Temps herauswehen, wie er sie hereingeweht hatte.
Als sie zum ersten Mal ins Merlottes gekommen waren, war ich so unhöflich gewesen, ihren Gedanken zu lauschen - ich weiß, das ist ziemlich daneben. Aber ich langweile mich eben manchmal, wie andere Leute auch. Meist gelingt es mir ja, die Gedanken anderer rauszufiltern, wenn sie versuchen, sich in meinen Kopf zu stehlen. Aber ganz selten einmal gebe ich nach und höre zu. Also wußte ich ein paar Dinge über die Rattrays, die vielleicht niemand sonst wußte. Ich wußte, daß sie im Gefängnis gesessen hatten - wenn auch nicht weswegen -, und ich hatte die häßlichen Gedanken gehört, die Mack Rattray über mich in seinem Hirn bewegte. Den Gedanken Denises hatte ich entnehmen können, daß sie vor zwei Jahren ein Baby ausgesetzt hatte, dessen Vater nicht Mack gewesen war.
Zudem gab keiner von beiden je Trinkgeld.
Sam schenkte ein Glas von unserem offenen Roten ein, und während er es auf meinem Tablett zurechtrückte, warf er einen Blick zum Tisch hinüber, an dem der Vampir hockte.
Dann sah Sam mich an, und ich wußte, daß auch er mitbekommen hatte, daß unser neuer Gast zu den Untoten zählte. Sam hat Augen, so blau wie die Paul Newmans. Nicht wie meine, die eher verwaschen graublau sind. Sam ist blond wie ich, aber mit drahtigem, dickem Haar, das schimmert wie rötliches Gold. Sein Gesicht ist von der Sonne immer leicht gerötet, und bekleidet wirkt er eher zierlich. Ich sah ihn aber schon mit nacktem Oberkörper einen Lastwagen abladen und weiß, wie muskulös er ist. Sams Gedanken höre ich mir nie an. Er ist mein Chef. Ich mußte schon mehrere Arbeitsstellen verlassen, weil ich Sachen über die jeweiligen Chefs herausgefunden hatte, die ich gar nicht hatte wissen wollen.
Aber Sam sagte nichts, er reichte mir lediglich das Tablett mit dem Weinglas. Ich prüfte noch einmal, ob es auch wirklich ganz sauber war und glänzte und machte mich dann auf den Weg zum Tisch des Vampirs.
„Ihr Wein, Sir“, sagte ich formvollendet und stellte das Glas vorsichtig direkt vor ihm auf dem Tisch ab. Erneut sah er zu mir auf, und ich nahm die Gelegenheit wahr, in seine wunderschönen Augen zu blicken. „Zum Wohl!“ sagte ich stolz. Hinter mir schrie Mack Rattray: „He, Sookie, wir brauchen noch einen Krug Bier!“ Seufzend wandte ich mich um und schnappte mir den leeren Bierkrug vom Tisch der Ratten. Wie ich feststellen konnte, war Denise an diesem Abend in Hochform. Sie trug ein bauchfreies Oberteil und ultrakurze Hosen; perfekt auf die neueste Mode abgestimmt ergossen sich ihre braunen Locken wie ein Wasserfall auf ihre Schultern. Denise war nicht hübsch, aber sie war so strahlend und selbstsicher, daß es eine Weile dauerte, ehe man das mitbekam.
Wenig später mußte ich zu meinem Kummer feststellen, daß sich die Rattrays zu dem Vampir an den Tisch gesetzt hatten. Beide redeten auf ihn ein. Ob er sich am Gespräch beteiligte, konnte ich nicht sehen. Aber er ging auch nicht.
„Guck dir das an!“ sagte ich angewidert zu Arlene, meiner Kollegin. Arlene ist ein Rotschopf mit Sommersprossen, zehn Jahre älter als ich und war schon viermal verheiratet. Sie hat zwei Kinder, und ich glaube, von Zeit zu Zeit denkt sie, ich sei ihr drittes.
„Neuer Typ?“ fragte sie, klang aber nicht besonders interessiert. Arlene geht im Moment mit Rene Lenier aus, und auch wenn ich nicht verstehe, was sie an ihm findet, scheint sie ziemlich zufrieden mit ihm. Ich glaube, Rene war ihr zweiter Ehemann.
„Er ist ein Vampir!“ sagte ich,
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