Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Tod.«
»Dann müssen wir nach Norden«, pflichtete ihm Der der schreit bei. »Vielleicht gehen wir ein Stück weit nach Westen, an den Bergen entlang…«
»Dort greift uns Windfrau an«, unterbrach ihn Grauer Fels und zeigte grinsend ihre zahnlosen Kiefer.
»Vergeßt nicht, wir befinden uns mitten in der Langen Finsternis. Windfrau wird uns auslachen und nach Wolkenmutter rufen. Welche Chance hätten wir da draußen? Nun? Sagt's mir. Welche Chance haben wir inmitten eines Sturms? In Windfraus Atem erfrieren wir beim Gehen. Unsere Knochen werden …«
»Welche Chance haben wir hier?« fragte Krähenrufer. »Erinnert ihr euch an das Orakel aus den Eingeweiden der Möwe? Damals sagte ich, wir müssen nach Norden. Ich sagte …«
»Gar nichts sagtest du!« rief Gebrochener Zweig höhnisch und schüttelte die Faust. »Jahrelang hast du nichts gesehen als Dunkelheit. Aber du lügst, weil du weiter den Schamanen spielen willst. Du lügst, und deine Lügen führen uns ins Verderben!«
Aus den Augenwinkeln heraus sah Tanzende Füchsin wie Hüpfender Hase plötzlich loslief, sich rücksichtslos durch die Menge kämpfte und zwischen den toten Körpern auf den Boden warf.
»Seht doch!« schrie er. Mit weit aufgerissenen Augen starte er auf die Erde. »Blut. Da, am Fuß von Die wie eine Möwe fliegt.«
Die Menschen scharten sich um ihn. Tanzende Füchsin achtete nicht weiter auf den Aufruhr, sondern nahm Sonnenschein in den Arm, die dringend des Trostes bedurfte. »Komm, ich singe mit dir«, sagte sie besänftigend. »Du und ich, wir begleiten dein Baby hinauf zum Volk der Sterne.« Mit ihrer süßen Stimme hob sie an, die qualvoll schöne Todesmelodie zu singen. Sonnenschein fiel leise ein.
»Eine Wolfsfährte«, grunzte Der der schreit, ohne die singenden Frauen zu beachten. »Hier ist ein Wolf heruntergesprungen.« Aufmerksam betrachtete er die Spuren im Schnee. »Da, seht ihr? Hier, von hier aus lief er weiter.« Auf allen vieren verfolgte er die Fährte. »Aieee! Blut! Hier auch. Der Wolf ist schwer verletzt.«
Suchend blickte sich Rabenjäger um. »Wo ist mein Bruder Der im Licht läuft?«
Füchsin hielt den Atem an, ihr Herz hämmerte. »Der im Licht läuft?« Beruhigend tätschelte sie rasch Sonnenscheins Arm, dann sprang sie auf die Füße, rutschte den Schneewall hinunter und eilte zu den Zelten.
Das Eis glitzerte heimtückisch. Selbst diese kleine Anstrengung raubte ihr den Atem, ihre Beine zitterten. Sie kroch unter der Felltür seiner Behausung hindurch. Unter den Mammutfellen empfing sie diffuse Dunkelheit. Ein paar alte Leute und einige sehr geschwächte Kinder musterten sie teilnahmslos. Die Decken von Der im Licht läuft waren achtlos beiseite geworfen, seine Waffen fehlten.
Hastig schlüpfte sie wieder hinaus und eilte keuchend den Hang hinauf. »Er ist fort. Seine Waffen hat er mitgenommen und …«
»Ein Wolf«, sagte Singender Wolf zähneknirschend. Er zog den Fäustling aus, nahm den uringetränkten Schnee auf und roch daran. »Ein hungriger Wolf. Er verhungert. Wie wir.«
»Und Der im Licht läuft hat ihn verwundet!« brüllte Der der schreit lauthals. »Vielleicht konnte Licht ihm keine große Wunde zufügen, trotzdem wird er daran sterben. Dieses Blut riecht nach Eingeweiden.«
Eine Welle der Erleichterung erfaßte die Menschen. Tanzende Füchsin lächelte. Zärtlichkeit wärmte ihr Herz. Der im Licht läuft würde sie retten. Grenzenloser Stolz erfüllte sie.
Eine grob zupackende Hand auf ihrer Schulter vertrieb ihre angenehmen Gedanken. Krähenrufer zwang sie, ihn anzuschauen. Als er ihre Augen sah, zischte er: »Glücklich, wie? Glücklich, weil Der im Licht läuft einen Wolf erlegt hat?«
Sie wand sich unter seinem Griff, aber er ließ nicht locker. »Natürlich bin ich darüber glücklich.
Glaubst du, ich will sterben?«
»Ein Wolf? Für alle diese hungrigen Mäuler?« Er verstärkte seinen Griff, und sie stöhnte auf.
Unwillkürlich sah sie in sein weißes totes Auge. Wie immer, lief es ihr bei diesem Anblick eiskalt über den Rücken.
»Die anderen Jäger haben noch nicht einmal einen Wolf erlegt«, stammelte sie.
»Du bist meine Frau. Ich weiß, wie du Der im Licht läuft ansiehst. Ich kenne dein Lächeln, sobald er auftaucht. Ich weiß, was in deinem Herzen vorgeht.« Unter seinen groben Händen schrie sie auf. »Und in seinem.«
»Was ändert das?« verteidigte sie sich. »Ich bin deine Frau. Ich kann nicht…«
»Vergiß das nie«, sagte er drohend und schob sie
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