Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Weiße Fell und der Aussicht, seinen quälenden Hunger stillen zu können, starrte er dem alten Karibu nach, das gerade hinter einer Ansammlung größerer Felsblöcke verschwand. Rabenjäger verkrampfte die kalten Hände ineinander. Er wußte, ihm bot sich hier die beste Chance, das Tier einzukreisen, einen schweren Stein aufzuheben und es zu töten.
Und wenn das Weiße Fell wegen seiner Nachlässigkeit beschädigt wurde? Sein Volk würde sich von ihm abwenden. Nie würde Tanzende Füchsin seine Frau werden. Auslachen würden ihn die Leute, wenn sie erfuhren, daß er wegen eines knurrenden Magens auf seinen Führungsanspruch verzichtet hatte!
Einen Augenblick lang, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, beobachtete er noch das alte Karibu. Er dachte an die dicken Fleischstücke, die warme Leber und das Herzblut. Sein schmerzender Magen krümmte sich.
Doch die Sorge um das Fell überwog. Was, wenn ein Wolf das weiche Leder des Felles bereits zerfetzt hatte, während er hier stand und vom Essen träumte? Was, wenn ein Bär das Heilige Fell entdeckt und in tausend Stücke gerissen hatte? Bei dieser Vorstellung entrang sich ihm ein Stöhnen. Sehnsüchtig blickte er dem einäugigen Karibu hinterher.
Mit schweren Schritten machte sich Rabenjäger auf den Rückweg.
»Das Fell wird mich am Leben erhalten«, flüsterte er. »Das Weiße Fell ist meine Macht. Das Weiße Fell läßt nicht zu, daß mir etwas geschieht. Das Fell bedeutet Macht das Fell ist mein Schicksal!«
Er begann zu laufen. Er mußte sich schnellstens vergewissern, ob das Fell unversehrt war. Auf dem unebenen Gelände geriet er ins Stolpern. Er versuchte sich abzufangen, aber zu spät. Er stürzte, und ein stechender Schmerz durchzuckte ihn. Er hatte sich den Ellenbogen gebrochen. Halb bewußtlos blieb er liegen.
»Das Weiße Fell…« Er biß die Zähne zusammen. Schwankend erhob er sich. Der dröhnende Schmerz warf ihn fast um. Ängstlich suchte er nach seinen Fußspuren. So schnell er auf seinen wackligen Beinen konnte, lief er weiter.
Als er das Fell entdeckte, schrie er erleichtert auf. Es lag noch an derselben Stelle unberührt im Schnee. Vor sich hin flüsternd liebkoste er es und drückte es, ungeachtet der Schmerzen in seinem Arm, an sich. Eine solch wohltuende Erleichterung hatte er bisher nur beim Geschlechtsakt empfunden.
»Du bist in Sicherheit«, wiederholte er ständig. »In Sicherheit. Verstehst du? Ich habe mich deiner würdig erwiesen.«
Mit dem verletzten Arm konnte er die Last nicht hochheben. Bei dem Versuch wurde sein Gesicht weiß vor Schmerz. Er verlor vollkommen die Orientierung. In seinem Kopf drehte sich alles, und er mußte sich übergeben. Erschöpft blieb er sitzen. Nach einer Weile holte er tief Luft, nahm all seine Kräfte zusammen und duckte sich unter das Fell. Mit dem gesunden Arm gelang es ihm, das Fell über eine Schulter zu rollen. Stöhnend erhob er sich und schwankte unter seiner Bürde weiter.
»Macht«, wisperte er und rieb die Wange an dem weichen Leder. »Herz und Seele des Mammutvolkes. Mein Schicksal. Der größte Krieger meines Volkes. Der Führer. Niemand ist stärker als Rabenjäger, der Halbblut-Andere! Niemand!«
Ausgelaugt und abgezehrt entdeckte er am nächsten Morgen den Eingang zum Weg durch das Große Eis. Den kalten Wind, der aus dem dunklen Loch über sein Gesicht strich, empfand er als zärtliche Liebkosung. Sein gebrochener Arm war stark geschwollen, das Gelenk hämmerte heftig. Erneut bäumte sich sein Magen auf. Gleichmütig schnitt er einen weiteren Lederstreifen aus seiner zerschlissenen Kleidung und kaute darauf herum.
»Sind nah dran«, keuchte er und klopfte auf das Fell. »Ganz nah. Nur noch durch das Eis … durch das Eis.« Ächzend ordnete er das Fell auf der Schulter und wanderte hinein in die Dunkelheit.
Der der schreit machte Spaße im Dunkeln, klopfte den anderen beruhigend auf die Schultern und erzählte ihnen lustige Geschichten. Wenn gelegentlich eine der als Lichtquelle dienenden knorrigen Weidenwurzeln verlöschte, löste das jedesmal ziemliche Verwirrung aus, doch die nächste war schnell entzündet. Den Tran sparten sie auf. Außerdem gewöhnten sich ihre Augen im Laufe der Zeit ein wenig an die Dunkelheit.
Die Zeit dehnte sich scheinbar endlos. So viele Menschen kamen nur langsam voran. »Wenn ich mich recht erinnere, sagtest du zwei Tage?« brummte der unruhig werdende Vier Zähne.
»Mit einer kleinen Gruppe, ja. Aber mit so vielen Menschen?« Der der schreit
Weitere Kostenlose Bücher