Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
zuckte die Achseln.
»Aber alle sind in guter Verfassung, und wir haben noch nicht einmal die Hälfte unseres Holzvorrates aufgebraucht. Die Leute gewöhnen sich langsam daran. Jetzt, nachdem die erste Angst verflogen ist, ist alles nicht mehr so schlimm.«
»Für dich vielleicht nicht. Du bist schon einmal durchgegangen. Aber wir anderen …«
»Mach dir keine Sorgen. Wir stehen unter einem besonderen Schutz.«
Seltsamerweise verhielten sich die Geister auffallend ruhig wie Wolfsträumer versprochen hatte.
Beim Weitergehen fiel ihm auf, daß die Leute weiter vorne zur Seite auswichen und einen Bogen um ein Hindernis machten. Er hastete zu dieser Stelle, um nachzusehen.
Dort saß Wolfsträumer schweigend im Lichtschein einer Tranlampe Der Docht aus Flechten wurde gespeist von kostbarem Tran, den sie möglichst nicht hatten anrühren wollen. Blicklos starrte er vor sich hin. Die Menschen schien er gar nicht wahrzunehmen. Der der schreit klopfte dem aufgebrachten Vier Zähne besänftigend auf den Rücken und kauerte sich neben Wolfsträumer.
»Wolfsträumer? Kannst du mit mir reden?«
Ein leichtes Flackern in den Augen des jungen Mannes sagte ihm, daß er ihn gehört hatte. Langsam klärte sich der Blick des Träumers. Fragend schaute er ihn an. »Warum … Was?«
»Wir kommen recht gut voran. Allen geht es gut. Trotzdem brauchen wir länger, als ich gedacht habe.
Es könnte vier Tage dauern, bis wir alle durch haben.«
»Das macht nichts.« Er lächelte. »Sieh sie dir an. Ihre Seelen sind gesund. Für Vier Zähne tut es mir allerdings leid. Er stirbt.«
Entsetzt fuhr Der der schreit zurück. Er sah den alten Mann mit Büffelrücken sprechen. »Er stirbt? Für mich sieht er gesund aus.«
»Auf seiner Seele ist ein schwarzer Fleck.«
»Ein schwarzer Fleck?« Die Unruhe von Der der schreit wuchs.
Wolfsträumer lächelte gütig. »Die Seele reflektiert den Körper, in dem sie wohnt. Vier Zähne fühlt sich wohl. Aber sein Körper versagt, das Leben entflieht. Er wird keine großen Schmerzen haben.«
Der der schreit kratzte sich am Kinn. Vielleicht war es kein sehr guter Gedanke gewesen, sich auf ein Gespräch mit Wolfsträumer einzulassen. Zögernd fragte er: »Aha. Und meine Seele sieht gut aus?«
Wolfsträumer lachte in sich hinein. »Ja, Der der schreit, deine Seele sieht wunderbar aus. Achte darauf, daß es so bleibt.«
»Ah ja, das werde ich.« Er scharrte mit den Füßen. Durch die Löcher in den Stiefelsohlen spürte er die Kiesel. »Hm, weißt du, wie die Dinge auf der anderen Seite des Eises stehen? Ich meine, na ja, Grünes Wasser und das Baby. Ich habe sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen und mache mir große Sorgen.«
»Du hast nie etwas gesagt. Sonst hätte ich es dir längst erzählt.«
»Wirklich? Ach, weißt du, jeder hat seine eigenen Probleme.« Beklommen fragte er: »Wie geht es ihnen? Sind beide gesund?«
Wolfsträumer strahlte wie gleißende Sonnenstrahlen. »Kerngesund. Grünes Wasser vermißt dich, das Baby wächst heran und wird von Tag zu Tag kräftiger.«
Unendliche Erleichterung erfaßte Der der schreit. Nachdenklich nagte er auf der Unterlippe und sah sich um. »Äh, warum ächzen die Geister diesmal nicht?«
Wolfsträumer legte den Kopf schief, als wolle er lauschen, und hob die Hände. »Ich tanzte mit dem Eis und sagte ihnen, sie sollen schweigen. Die Geister versprachen es, als ich mit ihnen tanzte.«
»Ah so.« Der der schreit nickte, war aber nicht ganz überzeugt.
Wolfsträumer nahm die Lampe und zeichnete eine Spirale in den steinigen Boden. »Sieh dir das an, Der der schreit. Sieh, was ich gezeichnet habe. Das Eis schmilzt. Die Welt wandelt sich. Sieh dir diese Spirale an. Siehst du, wie sie sich nach oben windet? Wie der Tanz der Jahreszeiten, der Jahre, der Lebenszeit eines Mannes, eines Berges und einer Welt. Alles ist eins. Alles dreht sich und dreht sich.
Ein ewiger Tanz.«
Der der schreit starrte auf die Spirale und bemerkte die darin dargestellte Kraft.
»Merk es dir«, erklärte Wolfsträumer. »Vergiß nie, dies ist das Zeichen des Großen Einen. Aber auch das Kreuz, in dem sich die Gegensätze kreuzen wie die Himmelsrichtungen. Ein solches Symbol ist die Reflektion des Lebens. Diese Zeichnung verdeutlicht, was mit Worten nicht zu erklären ist.«
»Schade, daß Singender Wolf nicht hier ist.«
»Du erzählst es ihm, wenn ich gegangen bin.«
Ihm blieb fast die Luft weg, seine Lungen schienen zu platzen. Entsetzt starrte er in das ernste
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