Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
den anderen setzend, kamen sie langsam voran.
Black rannte hin und her, die Nase unentwegt im Schnee, und zeigte ihr den Weg.
Eine Stunde später erklommen sie endlich den Grat. Reiher befand sich am Rande des Zusammenbruchs. Der Fremde fiel auf die Knie und riß sie beinahe mit zu Boden. Heftig atmend packte Reiher seine Kapuze, hielt sich daran fest und schlitterte mit ihm den Hang hinunter.
Heftige Krämpfe begannen seinen erschöpften Körper zu peinigen.
»Wag bloß nicht, jetzt zu sterben, nach all der Mühe, die ich mir gegeben habe!« grollte sie. Sie zog die Fäustlinge aus und öffnete mit blaugefrorenen Händen seinen Mantel. Die Hunde schnüffelten unruhig.
Die froststarre Fellkleidung ließ sich nur mit Mühe abstreifen. Reiher wandte ihr Gesicht ab, um den von dem Mann aufsteigenden Geruch nicht einatmen zu müssen. Trotzdem stiegen ihr die Ausdünstungen von Krankheit und altem Schweiß unangenehm in die Nase. Sie biß die Zähne zusammen und zog ihm auch sein letztes Kleidungsstück aus. Anschließend entkleidete sie sich, schleifte ihn ohne Rücksicht auf seine empfindliche Haut über die Felsen und ließ ihn in den von heißen Quellen gespeisten Teich gleiten.
Der Wind trieb dichte Wolken aufsteigenden Dampfes durch die Dunkelheit und hüllte sie damit ein wie in ein feuchtes warmes Tuch. Sie hielt den Körper des Mannes fest. Die Berührung seiner nackten Haut mit der ihren war ein ganz ungewohntes Gefühl. Sorgfältig achtete sie darauf, daß sein Kopf nicht unter Wasser geriet. Ängstlich prüfte sie seinen Herzschlag und lauschte auf seine Atemzüge. Er kam wieder zu Bewußtsein.
»Du bist in Sicherheit«, erklärte sie. »Jetzt will ich wissen, was du hier zu suchen hast.«
Der Junge flüsterte ein paar undeutliche Worte. Das Gestammel war nicht zu verstehen. Trotz der Dunkelheit erkannte sie ihn nun.
Alles in ihr verkrampfte sich.
»Lange her …«, murmelte sie. »Aber du bist doch noch gekommen.«
Am nächsten Abend hockte Reiher unter der Felltür ihrer Höhle. Sie hatte dem Jungen den Rücken zugewandt, doch sie spürte seine Blicke. Er sprach kein Wort, sondern hing seinen Gedanken nach.
Bis jetzt hatte sie ihn nicht drängen wollen, aber lange konnte sie nicht mehr warten.
Sie ließ ihren unerwarteten Besucher zurück und ging alleine zu den feuchten Felsen am Teichufer.
Plötzlich verharrte sie. Schwerfällig polterte das alte Mammut den Hang herunter und marschierte geradewegs in den Teich. Mit dem Rüssel saugte es Wasser ein und bespritzte unter lautem Prusten seinen Rücken.
»Bist du also tatsächlich wieder zurück! Weißt du, daß du mir einen Menschen angeschleppt hast? Er ist deiner Fährte gefolgt.«
Lautes Schnauben und Prusten waren die einzige Antwort. Das riesige Tier trottete stets vor einem Sturm zu den warmen Quellen, labte sich am mineralischen Wasser und watete im dampfenden Naß. Sie hatte großes Verständnis dafür, wußte sie doch aus eigener Erfahrung, wie sehr alte Knochen und Gelenke gerade vor einem nahenden Sturm schmerzten.
Leise sprach sie auf die beiden Hunde ein, die mit gespitzten Ohren neben ihr saßen. Mit einer Handbewegung bedeutete sie ihnen, sich ruhig zu verhalten.
Sie und der alte Bulle hatten eine Art Waffenstillstand vereinbart. Keiner verletzte das Territorium des anderen. Vom Felsen herab behielt sie das bis zum Bauch im dampfenden Wasser stehende Mammut wachsam im Auge. Den Rüssel schwenkend, spritzte es spielerisch mit dem Wasser.
Vom Felsen vor dem eisigen Wind geschützt, beobachtete sie die Umgebung. Leichtes Schneetreiben herrschte, doch die winzigen Flocken schmolzen auf den warmen Steinen sofort. Wie von Zauberhand tauchte plötzlich ein Karibu aus dem Dampfschleier auf. Das junge Tier legte den Kopf schief, schüttelte ihn, trottete hinunter zum Teich und trank bedächtig. Hin und wieder blickte es mißtrauisch zu Reiher herüber, aber ihre unbewegliche Gelassenheit schien es zu beruhigen.
Schwarz wurde ungeduldig und bewegte sich unruhig. Sie gab ihm ein Zeichen, sich still zu verhalten.
Weiß winselte leise und richtete die Augen begehrlich auf das Karibu.
Grunzend hob das alte Mammut den Rüssel und kehrte gemächlich ans Ufer zurück. Bei jedem Schritt des massigen Tieres entstanden Wellen mit silbernen Kronen, die gegen die Uferfelsen klatschten.
Unter seinem Gewicht knirschte der Fels. Das Wasser rann ihm in Bächen vom struppigen dunkelbraunen Fell.
»Ja, ja«, gurrte Reiher. »Am besten gehst du jetzt
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