Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
ab.
Jahrelang habe ich junge Leute beobachtet.
Ich erkenne deutlich die Anziehungskraft, die zwischen dir und Kleiner Tänzer besteht.«
Reizende Wapiti widmete sich wieder konzentriert ihrer Arbeit.
Sie rollte die starre und teilweise stachlige Rinde in ihren Händen hin und her. »In seinen Augen sehe ich etwas, das mich tief innen berührt. Als hätte ihn irgend etwas verletzt. Ich möchte … nun… Du möchtest ihn gern festhalten? Ihm helfen? Ihn trösten? So sind die Menschen. Wir möchten die Schmerzen anderer lindern. Ist das der einzige Grund?«
Sie lächelte schüchtern. »Ich glaube, er wird mir nicht weh tun.
Wenn ich an Blutbär denke, was der…« Sie schüttelte den Kopf. »Ach, ich weiß nicht. Ich hätte nie gedacht, daß alles so kompliziert ist.«
»Kleiner Tänzer hat gerade erst seinen dreizehnten Sommer erlebt.« Zwei Rauchwolken zog die Augenbrauen hoch.
Sie überlegte. »Er wirkt älter.«
Zwei Rauchwolken nickte. »Das Leben ist nicht gerade freundlich mit ihm umgesprungen. Ich sagte dir bereits, Macht begleitet ihn.
Ohne daß er es wollte, erfüllte sie seine Träume. Die Träume brachten in der Vergangenheit viel Leid über ihn, deshalb versucht er, der Macht aus dem Weg zu gehen. Aber ich … also, ich frage mich, wohin sein Weg ihn letzten Endes führen wird. Ein Berdache wird zwar auch von Andersartigkeit berührt, doch auf eine andere Weise. Jene Macht hat mich im Laufe der Jahre nicht freundlich behandelt. Das Kleine-Büffel-Volk hat mich geschlagen. Die Männer haben mich vergewaltigt, sobald sie mich erwischen konnten. Für sie war ich eine Mißgeburt, ein Unglücksfall der Natur, etwas Unbegreifliches - und deshalb gefährlich. Manche glaubten, ich würde ihre Kinder verderben. Sie hielten mich für so etwas wie eine ansteckende Krankheit.
In Kleiner Tänzer jedoch lebt die Macht seiner Mutter. Klares Wasser hörte eine Stimme, eine Stimme, von der sie überzeugt war, sie gehöre dem Ersten Mann, dem Wolfsträumer. Aber wohin hat diese Stimme sie geführt? Was ist mit ihr geschehen? Wegen ihres Schicksals fürchte ich die Macht.
Ich bin ein Teil davon; sie wogt um mich herum und durch mich hindurch. Ich bin die Brücke - der Kommunikator - zwischen der Welt, in der wir leben, und der Macht.
Die Macht hat mich zu dem Menschen geformt, der ich heute bin - aber ich begreife nicht, warum. Ich weiß nicht, wohin die Wege der Macht führen oder was sie aus uns macht. Ich weiß nur, Kleiner Tänzer besitzt Macht. Eines Tages wird er ein bedeutender Mann sein. Darauf hast du das Wort eines Berdachen.«
Ein bedeutender Mann? Sie wurde seltsam aufgeregt.
»Ah, das interessiert dich, hmm?« Zwei Rauchwolken kratzte sich hinter dem Ohr. »Vielleicht tue ich niemandem einen Gefallen, wenn ich darüber rede. Trotzdem. Hör zu, Mädchen, und vergiß nicht, wir reden über magische Mächte. Kleiner Tänzer ist der Eine, der Wichtige … der Eine, auf den die Macht einwirkt. Trotz Weißes Kalbs Besorgnis glaube ich kaum, daß er darum herumkommt, der Macht zu folgen.
Hör gut zu, Reizende Wapiti. Eine Macht kann dafür sorgen, daß ein Mann große Bedeutung erlangt, aber sie kann das Leben mit ihm außerordentlich schwierig machen. Eine Macht neigt dazu, einen Menschen zu benutzen, so, wie ein Jäger seine Werkzeuge benutzt.
Ein Speer wird mit großem Können und ungeheurer Anstrengung hergestellt. Er wird vorbereitet, gesegnet, Geist wird ihm eingehaucht. Erst dann gebraucht ihn der Jäger. Er wirft. Dieser so sorgfältig bearbeitete Speer wird geworfen, und man weiß nicht, ob er sein Ziel erreicht. Vielleicht trifft er ein Reh oder einen Hirsch in die Seite, durchbohrt Lungen und Herz. Das Tier verblutet, damit die Menschen zu essen haben. Vielleicht verfehlt der Speer aber sein Ziel und zerschmettert an einem Felsen. Die Spitze bricht, das Holz splittert und dort bleibt er liegen… für immer.«
Sie sah zu ihm auf. Eine Leere tat sich unter ihrem Herzen auf. Er hatte mit dem Speer Kleiner Tänzer gemeint.
»Möchtest du dich dieser Möglichkeit aussetzen?« fragte Zwei Rauchwolken sanft, mitfühlende Wärme lag in seinem Blick.
Sie schluckte und wußte nicht, was sie antworten sollte.
»He! Hungriger Bulle!«
Kleiner Tänzer blickte von der blutigen Büffelseite auf, über die er sich gerade gebeugt hatte. Hüpfend und springend kam Drei Zehen über die Wiese. Er schwenkte die Arme und unterbrach sein Freudengelächter immer wieder mit schrillen
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