Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
Wolfsträumer. Wir versuchen zu erneuern, was beleidigt wurde.«
Mit zum Himmel gerichteten Augen wartete er. Eine furchtbare Sorge lastete auf ihm. Kann ich es?
Bin ich stark genug? Was ist, wenn ich versage? Er konnte die Macht fühlen, abwartend.
Unwillkürlich drängte sich die Erinnerung an den zu Boden sinkenden Blutbär auf.
Das Bild des von der Lähmung ergriffenen kräftigen Körpers setzte sich in seinen Gedanken fest. Ich bin nicht der Eine, der mit Mächten wie dem Wolfsbündel umgehen kann. Weißes Kalb sollte hier sein.
Ich bin verloren.
»Hilf mir«, krächzte er. Eine furchtbare Angst breitete sich in ihm aus.
Leise tappte der Wolf heran, stellte sich vor ihn hin und blickte ihn mit seinen gelben Augen auffordernd an. Das Tier fiepte, stupste ihn mit der feuchten Schnauze an und zog sich schnaubend wieder zurück. Dann hob der Wolf die Schnauze und schloß die Augen wie im Gebet.
Feuertänzer ergriff seinen Speer. Wie sollte er das tun? Er konnte es nicht. Gequält blickte er auf den Wolf, dessen Gestalt in der Dunkelheit nur schemenhaft erkennbar war. Das Tier wartete darauf, daß er handelte. Der Traum war eindeutig gewesen. Ganz klar hatte er gesehen und gefühlt, was jetzt zu tun war. Abrupt drehte er sich um und stieß dem Wolf mit aller Kraft den Speer tief in die Seite. Das mächtige schwarze Tier taumelte, machte noch einen Schritt und fiel zu Boden. Blut troff aus der Schnauze, als die Lungen in dem aus den verletzten Arterien strömenden Blut ertranken. Die Flanken des Wolfes bebten. Nach einem letzten Aufbäumen seines Körpers brach der Blick seiner gelben Augen.
Feuertänzer schnürte es die Kehle zu, als er fühlte, wie sich die Seele des Tieres vom Körper befreite und zum Sternennetz schwebte.
Sich dankbar an die Wärme des Wolfs im Schneesturm erinnernd, sank er auf die Knie. Mit den Fingern strich er sanft über das glänzende Fell, fühlte das warme Fleisch darunter. Er verdankte dem Wolf - dem Beobachter - sein Leben. Ihm brach fast das Herz vor Kummer.
Verzeih mir. Aber so war es bestimmt. Du hast es gewußt. Er fühlte sich wie ein Verräter, als er auf das tote Tier hinabblickte - durchbohrt von einem ebenso scharfen Schmerz, als hätte er den Speer in sein eigenes Fleisch getrieben. Ein Traumbild blitzte in seinem Kopf auf. Noch einmal durchlebte er den Augenblick, als das Schaf in der Falle saß und die Keule erhoben wurde. Er schüttelte sich und zwang sich, dieses Bild zu verdrängen. Er kannte den Weg des Todes, das Gleiten der Seele in die Freiheit.
Zwei Rauchwolken begann zu singen. Gemeinsam fielen sie in einen monotonen Singsang, fühlten die Seele des Wolfes aufsteigen, die Seele eines altes Tieres, dessen Leben am Ende des Kreises angelangt war.
Feuertänzer öffnete mit der scharfen Speerspitze den Kadaver und schnitt mit zitternden Händen das Herz heraus. Er hob es an die Lippen, trank das heiße Blut und spürte es salzig auf der Zunge. »Ich bin Wolfsträumer… und ich bin es nicht.«
Wie die Wärme morgendlicher Sonnenstrahlen durchströmte ihn die Kraft des Wolfes und verlieh seinem verängstigten Geist Zuversicht.
»Was nun?« fragte Zwei Rauchwolken. Seine Stimme schreckte Feuertänzer aus seiner Konzentration auf. Wie im Traum blickte Feuertänzer hinüber zu dem heiligen Bündel, das auf seiner zusammengefalteten Kleidung lag.
»Ein neues Wolfsbündel muß hergestellt werden.« Schweren Herzens beugte er sich vor und machte sich daran, das dicke Fell von dem noch warmen Körper abzuziehen. Ihm war, als müsse er ersticken, als müsse er mit seinen Schultern einen gewaltigen Felsbrocken stützen, der jeden Augenblick auf ihn herabzustürzen drohte.
Vor Anstrengung keuchend gab er das Fell Zwei Rauchwolken.
»Niemand vom Rothand-Volk besitzt deine Kunstfertigkeit. Du mußt es nähen. Es muß um das Bündel passen.«
Vorsichtig nahm Feuertänzer die Balsamgräser und befeuchtete sie.
Er schichtete weiteres Holz auf das Feuer und legte ein Grasbüschel in die Flammen. Wie er es im Traum gesehen hatte, reinigte er seinen Körper viermal in den aufsteigenden Dampfschwaden.
Dann nahm er eine Obsidianklinge und ging hinüber zum Wolfsbündel.
Leise stimmte er das Lied der Rechtmäßigkeit an. Die ihn umwogende Macht trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Sein Mund war trocken, er konnte kaum schlucken. Sein Innerstes war zum Zerreißen gespannt. Zögernd hob er die Klinge. Aus der Dunkelheit beobachteten ihn unsichtbare Augen und jagten
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