Vorzeitsaga 02 - Das Volk des Feuers
hübsches Arrangement, das seine Macht wirkungsvoll unterstreichen sollte.
»Komm herein, Zwei Wapitis.«
Der alte Mann bückte sich ächzend und hob die Türklappe hoch.
Blinzelnd blickte er sich im Zelt um. Lange graue Zöpfe umrahmten sein runzliges Gesicht. Das einfallende grelle Licht zeichnete seinen gebrechlichen Körper als schemenhaften Schattenriß und blendete Schwerer Biber.
»Dunkel hier drin.« Zwei Wapitis schlurfte zur rechten Seite hinüber, die den männlichen Gästen vorbehalten war.
»Paß auf. Tritt meinem Raben nicht auf den Fuß.«
Zwei Wapitis brummte Unverständliches und hielt sich dicht an der Zeltwand. Mit krachenden Gelenken ließ er sich stöhnend nieder.
Das ganze Elend der gut sechs mal zehn Lebensjahre war auf Zwei Wapitis Gesicht eingegraben. Die Narbe einer längst verheilten Wunde zog sich quer über seine linke Wange. Sein Kiefer, inzwischen zahnlos, ragte weit unter der knolligen Hakennase vor.
Seine Augen waren so tief eingesunken, daß die Augenhöhlen auf den ersten Blick fast hohl wirkten.
Doch sein rechtes Auge blitzte noch immer voller Leben und Intelligenz daraus hervor, das linke dagegen hatte ein milchiges Weiß angenommen.
»Du willst also die junge Salbeiwurzel tatsächlich umbringen?«
Schwerer Biber lächelte freudlos.
»Sie hat mich beleidigt.«
Zwei Wapitis nickte bestätigend. Er blinzelte immer noch, um sein gesundes Auge an das düstere Licht zu gewöhnen. »Ich bin gekommen, um dir das auszureden.«
»Warum?«
»Die Leute machen sich Sorgen. Sie sind …«
»Ich muß dem Volk eine Lektion erteilen. Frauen wie Salbeiwurzel haben uns in die gegenwärtige mißliche Lage gebracht. Der einzige Weg, die Dinge wieder ins Lot zu bringen, besteht in einer gründlichen Läuterung. Dazu muß ein Exempel statuiert werden, Opfer müssen gebracht werden. Das habe ich geträumt. Die Sterne haben es mir gesagt. Salbeiwurzel hat meine Weisungen mißachtet.
Leichtfertig vergoß sie das Blut der Brüder der Großen Antilope im Himmel. Die Große Antilope ist beleidigt worden. Nun müssen wir hungern, um für Salbeiwurzels Sünden, die das ganze Volk beflecken, zu büßen. Ich muß sie für ihre Schuld bezahlen lassen.«
»Willst du so weit gehen? Willst du wirklich eine Frau töten, nur weil sie dich verschmäht hat? Was ist mit ihrem Sohn … ihrem Mann?«
»Was soll mit ihnen sein? Ihr Mann ist ein zügelloser, rücksichtsloser Kerl. Er hat versäumt, seiner Frau Respekt vor dem Geisterträumer beizubringen. Du lebst hier und weißt, daß er sie niemals schlägt. Niemals bestraft er sie für ihren Ungehorsam. Kein Wunder, daß er in den letzten paar Jahren kaum Jagdglück hatte und der Große Weise im Himmel ihm seine Kinder genommen hat. Brauchst du noch mehr Beweise?«
Zwei Wapitis starrte nachdenklich in das dunkle Feuerloch. »Machst du dir denn gar keine Sorgen? Er könnte dich umbringen, weil du seine Frau verflucht hast.«
Schwerer Biber grinste. »Glaubst du das im Ernst? Ich kenne Hungriger Bulle. Wie oft habe ich ihn vor einer Geistermacht zurückweichen sehen? Wie oft habe ich ihn sagen hören, er möchte nichts mit Träumen oder Visionen zu tun haben? Nein, ich brauche nur seine Seele zu bedrohen - wie ich es auch bei seiner Frau gemacht habe und er schmilzt dahin wie der Schnee im letzten März.«
»Und Salbeiwurzel? Gibt es keine Möglichkeit, den Fluch zurückzunehmen?«
Schwerer Biber senkte seinen Blick tief in das funkelnde Auge des alten Mannes. »Eine Möglichkeit sehe ich schon. Wenn sie zu mir kommt und sich mir unterwirft. Wenn sie kommt und sich entschuldigt und sich für ein Jahr an mich bindet. Sie muß angemessen dafür büßen, daß sie widerrechtlich die Obliegenheiten eines Mannes an sich gerissen hat. Ich könnte auch eine einmalige Ausnahme machen und mit ihr in die Schwitzhütte gehen, damit sie sich in der Hitze reinigt. Dort könnte ich ihre Seele retten, sie in ihren Körper zurückführen.«
»Darauf läßt sie sich niemals ein.«
Gleichgültig zuckte Schwerer Biber die Achseln.
»Ich bin gekommen, dich zu bitten, den Fluch von ihr zu nehmen.
Die Leute wandten sich an mich und haben gesagt: ,Geh zu Schwerer Biber. Sag ihm, er soll das nicht tun. Aus diesem Fluch entsteht nichts Gutes. Sag ihm, er soll ihn von ihr nehmen, zum Wohle des Volkes.' Sie haben Angst vor den Folgen, wenn du deine Worte wahr machst.«
»Dazu haben sie auch allen Grund. Ich habe versucht, ihnen einen neuen Weg zu zeigen. Doch im Laufe der
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