Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
unten. Sie hatte sich kaum verändert, nur um ihre Augen hatten sich einige Falten eingegraben.
»Wie kommst du hierher?« fragte er.
Sie machte eine Kopfbewegung zum Zelt hin. »Salbeigeist hat mich mitgenommen.« Sie senkte die Augen. »Knolle ist auch hier wahrscheinlich jagt er draußen. Er wird sich freuen, dich zu sehen.«
»Und die anderen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur die Kinder und Anmutige Frau sind noch am Leben. Tannenzapfen, Phloxsamen… sie waren zu alt. Sie hatten die gebärfähigen Jahre hinter sich. Zuerst haben sie natürlich die Männer umgebracht.« Mit schmerzerfüllten Augen blickte sie ihn an. »Ich weiß nicht genau, wer alles überlebt hat. Ich bin nicht zurückgegangen und habe mir nicht die Leichen angesehen. Ich wollte es nicht.«
Er nickte traurig. »Ich entdeckte Großmutters Körper hinter dem Rundfelsen. Ich sang für sie.
Hoffentlich ruht ihre Seele nun in Frieden.«
»Stilles Wasser?« rief Weiße Esche.
»Ist sie die Träumerin?« fragte Rosenbusch und ergriff unruhig seinen Arm.
Er nickte. »Komm, ich stelle sie dir vor.«
Rosenbusch schluckte hart, ihre Miene drückte deutliches Widerstreben aus.
»Komm schon.« Stilles Wasser zog sie hinter sich her und betrat gebückt das Zelt.
Bei ihrem Eintritt hob Salbeigeist den Kopf. »Das ist Rosenbusch, meine Frau.«
Weiße Esche nickte lächelnd. »Es freut mich, daß mein Vater eine so schöne Frau hat, die ihn glücklich macht.«
Einladend klopfte Salbeigeist auf die Decken neben sich, und Rosenbusch ließ sich pflichtschuldigst nieder. Sie sah so erschrocken aus, als wolle sie jeden Moment aufspringen und davonlaufen.
Stilles Wasser setzte sich an Weiße Esches Seite und legte seinen Beutel neben sich. Trotzig erwiderte er Salbeigeists fragend bohrenden Blick. Rosenbusch starrte Weiße Esche an, die in Trance versunken in die Ferne blickte, dann wanderte ihr Blick zu Stilles Wasser. Sie schien der Panik nahe.
Salbeigeist machte eine Kopfbewegung Richtung Stilles Wasser. »Rosenbusch, kennst du diesen Mann?«
Rosenbusch wollte antworten, doch Stilles Wasser fiel ihr ins Wort. »Salbeigeist, du und ich, wir haben weit mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Du stellst dir Fragen über mich. Ich stelle mir Fragen über dich. Beantworte mir nur eine Frage: Was findet meine Schwester an dir?«
Salbeigeist kniff die Augen zusammen. Prüfend wanderte sein Blick von Weiße Esche zu Rosenbusch.
»Du hast meine Tochter gewählt… ich wählte deine Schwester. Wieder hatten die Mächte die Hand im Spiel. Ich behaupte nicht, daß ich verstehe, warum, aber möglicherweise bist du doch ein würdiger Ehemann für Weiße Esche.«
Rosenbusch schüttelte den Kopf, als fürchte sie, sich verhört zu haben. »Ehemann?« fragte sie ungläubig. »Weiße Esche hat dich geheiratet? Kranker Bauch, wer hat dir die Erlaubnis gegeben zu heiraten?«
Er zog die Augenbrauen hoch. Langsam kam ihm zum Bewußtsein, daß ihm niemand diese Erlaubnis gegeben hatte zumindest nicht so, wie es beim Erdvolk der Brauch war. Aber Rittersporn war tot, alle anderen auch. Bis auf…
»Ah, ich verstehe«, sagte er. »Du glaubst, ich hätte um deine Erlaubnis bitten müssen, Schwester…«
Der Griff, mit dem er das Wolfsbündel umklammerte, wurde fester, und ein warmes Glühen erfüllte seine Brust. »… aber auch ohne dein Einverständnis ist Weiße Esche meine Frau, und ich bin der Hüter des Wolfsbündels.«
Rosenbusch fuhr zusammen. Diesen selbstsicheren Ton war sie nicht von ihm gewöhnt. Bevor sie etwas erwidern konnte, wandte Weiße Esche ihr die vom Traum erfüllten Augen zu. Rosenbusch sackte förmlich in sich zusammen, als Weiße Esche sagte: »Stilles Wasser und ich werden den neuen Weg träumen. Er ist der einzige, den die Macht dazu für würdig befand.«
Rosenbuschs Mund verzog sich verdrießlich, und sie schüttelte den Kopf. »Das ist Torheit. Kranker Bauch? Der Hüter des Wolfsbündels? Du hast den Verstand verloren! Kranker Bauch könnte keine Kröte in einem Sack hüten! Falls er das Wolfsbündel gestohlen hat, strömt das Wolfsvolk bald in Scharen herbei. Wir müssen es zurückgeben und uns für all den Ärger entschuldigen, den Kranker Bauch heraufbeschworen hat. Salbeigeist, überlaß ihn mir. Ich übernehme die Verantwortung für ihn.
Ich werde dafür sorgen, daß er keinen Ärger mehr macht, obwohl der Erste Mann weiß, was für ein undankbares …«
»Schwester«, unterbrach sie Stilles Wasser, »das Wolfsvolk
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