Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
weite Red Earth Basin. Am Horizont im Westen glühten die letzten roten Schattierungen des Sonnenuntergangs, der Abend senkte sich über die von Farben überflutete Erde und verdunkelte das Grün der Rosensträucher. Seit er damit begonnen hatte, nach der Macht zu suchen, hatten sich seine Sinne geschärft. Er lernte ein neues Land kennen, roch den würzigen Moschusgeruch der trockenen Luft, fühlte das im gelbbraunen Sandstein und in der fruchtbaren roten Erde pulsierende Leben. Die Pflanzen dieses Landes besaßen einen eigenen Geist, ausdauernd, widerspenstig und doch seltsam zart. Dieses Land war durchdrungen von einer Seele eigener Art, sie sang mit dem Wind und tanzte mit den Sternen. Tapferer Mann empfand dieses Gefühl so stark, daß er fürchtete, es könne ihn verändern. Doch das durfte er nicht zulassen er mußte der Gebieter sein.
Morgen festige ich dort unten meine Macht. Das letzte Hindernis Weiße Esche wird vor mir stürzen, zermalmt werden wie alle anderen vor ihr. Mit ihrer Macht werde ich der größte Seelenflieger, den je ein Volk gekannt hat.
Die Schatten zwischen den flachen Umrissen der niedrigen, sich gen Westen erstreckenden Kuppen begannen mit dem dunkleren Blaugrün der Salbeiebenen zu verschmelzen. Die Umrisse bizarrer, von Beifuß und Dornengestrüpp bewachsener Dünen zogen sich bis weit in den Süden.
Irgendwo dort draußen wartete Weiße Esche.
Tapferer Mann schloß die Augen. Frieden durchströmte seine Seele, die bohrenden Kopfschmerzen klangen ab. Er begann den grauen Nebel zu suchen. Nach und nach löste er sich von seinem Körper, wandte sich der inneren Stille zu, die ihn zu der Macht führen würde.
Er bemerkte weder die Eule, die über ihn hinwegflog, noch die flatternden Fledermäuse, noch hörte er den Schrei des Pumas in den Felsen direkt über ihm.
Er glitt dahin, lieferte seine Seele aus.
In den Schwaden des tröstlichen Nebels badend, ließ er sich immer tiefer in das schimmernde Grau fallen. Er spürte Weiße Esches Gegenwart und fühlte ihre Angst. Herausfordernd dehnte er sich aus und ließ seine Macht spielen. Zu seiner Befriedigung zog sich Weiße Esche sofort zurück. Am Ausgang ihrer Konfrontation gab es keinen Zweifel. Er fiel tiefer, lieferte sich noch mehr aus. Seine Stärke und sein Bewußtsein nahmen zu.
Er erkannte die Macht des Wolfsbündels, konnte erneut die Grenzen dieser Macht wahrnehmen. Die Stimmen in seinem Kopf winselten. Ah, das Bündel also war der Ursprung der Macht des Einarmigen. Und das Bündel habe ich schon einmal besiegt.
Er dehnte sich zum Bündel hin aus, wurde jedoch von diesem zurückgeschlagen. Sollte er es bezwingen? War er dazu schon bereit?
Bald.
Der graue Nebel lichtete sich und nahm eine goldene Tönung an. Wie ein Falke im Sturzflug tauchte er immer tiefer in den goldenen Dunst ein, um ihn herum begann es blendend zu schimmern und zu leuchten. Er fühlte die Einheit, aber er sehnte sich nach mehr. Die donnernde Stille hielt ihn fest, pulsierte um ihn herum.
»Du suchst.« Eine traurige Stimme hallte durch den schimmernden Dunst.
»Wer… was bist du?« Tapferer Mann war auf der Hut, wachsam, denn er war im Ungewissen über diesen Ort und darüber, wie er ihn erobern konnte.
»Alles, was du nicht bist.«
Aus den wirbelnden goldenen Wolken formte sich das Bild eines goldenen Mannes, eines jungen Mannes von unvergleichlicher Schönheit.
»Wer bist du?« Eine unbestimmte Ahnung durchzuckte Tapferer Manns Bewußtsein.
»Ich bin der Erste Mann, ich bin Wolfsträumer. Ich träume die Spirale, den Weg des Volkes. Du bist stark. Die von dir ausgehende Gefahr für die Spirale wächst.«
»Was ist diese Spirale?«
»Kreise innerhalb von Kreisen, ohne Ende, ohne Anfang. Das Spiegelbild der Harmonie, die ich träumte.«
»Und du warst einmal ein Mensch?«
»Ja. Mein Traum führte das Volk in dieses Land, verband das Volk mit dem Großen Einen. Ich träumte die Spirale. Nun ist das Sonnenvolk gekommen, und du willst die Spirale verändern. Warum?«
»Um ein Gott zu werden«, antwortete Tapferer Mann. »Ich entkam dem Lager der Toten. Ich führe das Sonnenvolk, mache es groß. Ich bin der neue Weg. Dieser Traum beweist es.« Sein Vorhaben füllte ihn ganz aus. »Was dir gelungen ist, Wolfsträumer, wird auch mir gelingen.«
»Und dieses Mal hast du keinen Bruder, der gegen deinen Traum träumt, Rabenjäger.«
»Mein Name ist Tapferer Mann.«
»Namen sind Illusion.«
Die Umrisse des goldenen Mannes begannen zu flackern,
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