Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde
hinzugeben.«
»Es sind nicht mehr viele übrig, zwischen denen ich wählen könnte.«
Nach diesen Worten grinste er. »Ja, ich weiß. Am besten wäre es, du kämst gleich mit. Wir gehen zusammen in den Norden. In diesem Fall brauchte ich nicht mehr zurückzukommen und müßte nicht mehr um dich kämpfen.«
Sie schloß die Augen und atmete tief durch. »Ich kann nicht mit dir gehen. Das weißt du genau.
Salbeigeist braucht mich. Die Leute unseres Stammes brauchen mich.«
Er wandte sich von ihr ab und starrte auf die unregelmäßig gezackte Linie der Berggipfel, die in einem weichen Licht zu leuchten schienen. »Ich komme zurück zu dir. Ich folge dem Weg nach Süden, bis ich dich finde.«
»Falls sie dich bei der Herausforderung nicht töten.« Das Herz tat ihr weh. »Du mußt gegen ihren besten Krieger antreten, einen Mann, der schon viele Menschen getötet…«
»Niemand wird mich töten. Nicht, wenn die schönste Frau der Welt auf mich wartet.«
»Nein. Bitte. Ich will nicht, daß du meinetwegen ein derartiges Risiko eingehst.«
»Als du gesagt hast, du würdest mich heiraten, stand meine Entscheidung fest.«
»Dann heirate ich dich nicht«
Mit den Fingerspitzen hob er ihr Kinn hoch. »Kannst du diese Worte wiederholen und mir dabei in die Augen sehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich kann dich auch nicht in den sicheren Tod schicken.«
Er lachte leise. »Ich gehe nicht in den Tod. Ich fühle es. Ich komme zu dir zurück.«
Er zog sie an sich und umarmte sie so, wie sie es sich immer erträumt hatte. Einen endlosen Augenblick lang klammerte sie sich an ihn. Sehnsucht und heißes Verlangen pulsierten durch ihre Adern.
Schließlich schob er sie auf Armeslänge von sich. »Es dauert nicht lang. Ich komme zu dir, bevor der erste Schnee fällt. Nimm dich vor Tapferer Mann in acht. Er ist gefährlich aber nach dem gestrigen Abend wird er wohl nicht mehr lange beim Stamm bleiben.«
»Kann ich denn gar nichts tun, um dich zurückzuhalten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das ist der einzige Ausweg für uns. Wir haben keine andere Wahl. So, nun geh und suche Salbeigeist. Führe morgen das Volk nach Süden. Sag den Leuten, was ich vorhabe und warum. Sie werden mich verstehen.«
Sie nickte. Starr vor Trauer und Schmerz, sah sie zu, wie er seine Speere und den Atlatl aufhob und sich den Beutel mit seinen Habseligkeiten umhängte. Er blickte sie an. »Was auch passiert, ich werde dich immer lieben.«
»Und ich liebe dich.«
Er wandte sich zum Gehen um.
»Bitte! Windläufer, geh nicht.«
»Bevor der erste Schnee fällt. Das verspreche ich dir.« Winkend bahnte er sich den Weg durch das Dickicht. Schon bald war seine Gestalt in der Dunkelheit verschwunden.
Betrübt senkte Weiße Esche den Kopf. Das Leid bedeckte ihre Seele wie abgestorbenes Moos.
Sie machte sich auf den Rückweg. Als sie am Fuß des Hanges angelangt war, hatte sie ihren inneren Schmerz so weit unter Kontrolle, daß sie wieder klar denken konnte. Würde es immer so weitergehen? Würde jeder, den sie liebte, sie verlassen?
Warum hatte sie nicht gelogen und gesagt, sie würde ihn nie heiraten? Erhabener Schöpfer, ich habe ihn zum Tode verurteilt. Es sei denn… er schien außerordentlich siegessicher zu sein, obwohl er dem besten der gefürchteten Schwarzspitzen-Krieger gegenübertreten mußte.
Sie blickte zurück zum Grat, dessen Silhouette sich deutlich im ersten Morgengrauen abhob. Ich werde ihn nie wiedersehen.
Auf der Suche nach Salbeigeist schlug sie einen weiten Kreis um das Lager. Plötzlich entdeckte sie zwischen den Beifußsträuchern einen seltsamen Umriß. Sie trat näher und spähte genauer hin. Ein Mann lag mit dem Gesicht nach unten auf der Erde. Ein eisiger Hauch durchzog ihre Seele, ihr Herzschlag drohte auszusetzen.
»Salbeigeist?«
Der Mann rührte sich nicht. Sie fühlte das Unrecht, das in der Luft lag, das Gefühl einer mißbrauchten Macht. Sie bückte sich und strich mit den Fingern über die Haut: kalt wie der gefrorene Boden. Sie packte den Mann an seinem Büffelfellmantel und rollte ihn herum. Im grauen Zwielicht des heraufdämmernden Morgens erkannte sie seine Züge. Alter Falke!
Sie keuchte, als sie den dunklen Fleck auf seiner Stirn entdeckte. Das ausgeflossene Blut war geronnen und bereits hart gefroren. Jemand hatte ihm den Schädel gespalten.
Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund und taumelte rückwärts. Sie geriet in Panik und schrie mit schriller Stimme: »Pfeifender Hase! Komm her. Komm
Weitere Kostenlose Bücher