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Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde

Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde

Titel: Vorzeitsaga 03 - Das Volk der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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weiter.
    »Hoffentlich stört Leuchtender Mond die Kälte nicht«, brummte Grashüpfer.
    »Die Seele empfindet keine Kälte«, antwortete Weiße Esche. Sie erinnerte sich an das warme Gefühl des Schwebens während ihres Traums.
    »Bist du sicher?«
    Weiße Esche lächelte, die angenehme Erinnerung an ihren Traum tröstete sie. Ja. Ich fühlte sie, als sie ging. Ich fühlte das Vorbeigleiten ihrer Seele. Ein herrliches Gefühl.«
    »Ah-ha.«
    Der unüberhörbare Zweifel in Grashüpfers Stimme ließ Weiße Esche zusammenzucken. »Ich habe es geträumt.«
    Niemand ging darauf ein. Sie legten Leuchtender Monds Körper auf die Erde, das Gesicht nach Westen gerichtet, damit sie in die untergehende Sonne blicken konnte. Der Wind zerrte an der farbenprächtig verzierten Hirschhauthülle und warf die Zöpfe der Toten in makaber wirkender Fröhlichkeit hin und her. Feiner Schnee begann sich um den Körper anzuhäufen.
    Flughörnchen erreichte heftig keuchend den Gipfel. Die anderen Frauen und Kinder aus dem Lager folgten in den Fußstapfen der alten Frau. Sie begannen einen Kreis um Leuchtender Mond zu bilden.
    Flughörnchen trat hinter den Leichnam und hob die Hände zum düsteren Himmel hinauf. Mit bebender Stimme rief sie: »Wir preisen diese Seele dem Himmel und der Sonne und den Sternen.
    Leuchtender Mond, geh hinauf und erinnere dich an die Menschen, die dich liebten. Wir danken dir für das Glück, das du in unser Leben gebracht hast. Im Unterschied zu deinen Knochen, die zerfallen und verwehen, wirst du auf ewig in unserer Erinnerung weiterleben. Geh nun voran. Überbringe unseren Ahnen und den geliebten Menschen, die vor dir gegangen sind, unsere guten Wünsche.«
    Der Wind peitschte auf die Trauernden ein. Die eisigen Schneekristalle klirrten leise über die vom Wind glattpolierten Steine.
    Weiße Esche blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Sie ist tot. Nie wieder werde ich ihre Stimme hören. Nie wieder die Wärme ihrer Berührung spüren. Weiße Esche taumelte, als habe sie das Gleichgewicht verloren. Das in ihrer Seele klaffende Loch dehnte sich aus und versuchte, sie gänzlich aufzusaugen, sie in eine endlose Leere hinauszuwirbeln. Nur die Erinnerung an ihren Traum bot ihr Halt. Sie klammerte sich daran fest, um sich nicht in den tosenden Sturm reißen zu lassen.
    Zähneklappernd und vor Kälte zitternd, sprachen die anderen nacheinander ihre Lobpreisungen. Sie rühmten die Frau, die Leuchtender Mond im Leben gewesen war, und baten ihre Seele, sich bei den Geistern an sie zu erinnern, so wie sie sich bei den Dingen des Lebens an sie erinnern würden. Endlich hatte auch die letzte der versammelten Frauen gesprochen.
    »Möchtest du noch etwas sagen?« erkundigte sich Flughörnchen freundlich und berührte sacht Weiße Esches Schulter.
    »Sie wurde meine Mutter. Sie liebte mich. Sie fehlt mir auf ewig.« Ihre Zunge schien wie gelähmt, sie konnte nicht weitersprechen.
    »Komm mit. Wir haben für sie getan, was wir konnten.«
    Weiße Esche merkte kaum, wie Flughörnchen sie von der Toten wegführte. Wie betäubt wankte sie den Weg hinunter.
    Erschöpft kam sie im Lager an. Die Zelte, an den Nähten und den durchsackenden Stellen der Dächer schneeverkrustet, sahen düster aus. Die Enden der rußgeschwärzten Stützpfähle ragten wie starre Finger in den grauen Himmel.
    Flughörnchen ergriff Weiße Esches Ellenbogen und führte sie hinter Salbeigeists Zelt vorbei zu der Behausung, die sie mit Pfeifender Hase teilte. Gebückt trat Weiße Esche ein und ließ sich auf den ihr von Flughörnchen zugewiesenen Decken nieder.
    Müde rieb sie sich die Hände und klopfte den Schnee aus den Falten ihres Mantels. Flughörnchens Zelt, das sehr ordentlich aufgeräumt war, säumten rundum bunt bemalte Lederbehälter, an die man sich anlehnen konnte. Oben an die rußigen Zeltstangen waren in Felle gewickelte Bündel gebunden.
    Im hinteren Teil des Zeltes verstaute sie die eingerollten Bettdecken.
    »Ich dachte, du willst jetzt sicher nicht alleine sein.«
    Weiße Esche, verloren in ihrer inneren Leere, nickte. »Dort oben auf dem Berg wurde alles Wirklichkeit. Daß sie diese Welt verlassen hat, meine ich. Was wird Salbeigeist tun? Er liebte sie so sehr. Ihr Tod wird ihn umbringen.«
    Flughörnchen seufzte. Sie stocherte im Feuerloch und bemühte sich, die Kohlen zum Glühen zu bringen. Dann warf sie Beifuß und Wacholder darauf, kniete nieder und blies in die Glut, um das Feuer anzufachen. Mit einer Hand hielt

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