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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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stützte das Kinn auf die angezogenen Knie und sah Wanderer liebevoll an. »Ich bin froh, daß du mein Vater bist, Wanderer. Ich kann mir niemanden auf der ganzen Welt vorstellen, den ich lieber zum Vater hätte.«
    Eine Welle tiefster Liebe durchflutete ihn. Als er verlegen den Kopf senkte, warf sich Flechte in seine Arme und schmiegte sich an seine Brust. Wanderer küßte sie zärtlich auf den Kopf und zog sie fest an sich.
    Und wenn Wühlmaus Flechte nicht erlaubte, bei ihm zu bleiben? Wie sollte er es über sich bringen, sie in drei Tagen nach Hause zu begleiten und ohne sie wieder wegzugehen? Dieser Gedanke schnitt wie eine schartige Hornsteinklinge durch seine Eingeweide.
    »Flechte?« Er konnte nicht anders, er mußte ihr diese Frage stellen. »Wer hat dir gesagt, daß ich dein Vater bin?«
    »Wolfstöter. Er sagte, von dir hätte ich die Fähigkeit zu träumen.«
    »Was sagte er noch?«
    Flechte zog Wanderers Arm über ihre Schulter, legte seine Hand an ihre Brust und drückte sanft seine Finger. Einen Moment lang lenkte der Leuchtkäfer ihre Aufmerksamkeit ab. Er schimmerte in der Nähe der Tür und suchte eifrig den Weg nach draußen.
    »Wanderer, versprich mir, niemandem etwas zu sagen. Wolfstöter sagte, es sei ein Geheimnis.«
    »Ich verspreche es. Was sagte er?«
    Sie runzelte die Stirn. »Also, er sagte, du und ich, wir müßten nach Cahokia gehen. Und Binse sagte mir, Nachtschatten braucht uns. Ich weiß nicht «
    Wanderer setzte sich jäh auf. Die plötzliche Bewegung brachte Flechte zum Schweigen. Liebevoll drückte er ihre Hand. Er versuchte, seine Besorgnis vor ihr zu verbergen. Nachtschatten helfen? Hat sie aus diesem Grund nach mir gerufen? »Sagte er, warum?«
    »Nein, er sagte nur, Feuerschwamm würde uns bald rufen.«
    »Wer ist Feuerschwamm?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Vielleicht ein Träumer. Hast du nie von ihm gehört?«
    »Nein. Aber wenn Wolfstöter dir angekündigt hat, er werde uns rufen, sollten wir uns darauf vorbereiten.«
    »Warum?«
    »Keinem Träumer gefällt es, von einem Geisterhelfer gerufen zu werden, von dem er noch nie gehört hat, Flechte. Es ist ein bißchen so, als ob du unvermutet im Wald auf Großvater Grizzly stößt. Man weiß nie, dreht er sich einfach um und geht seiner Wege - oder mußt du um dein Leben rennen.«
    Nachtschatten schritt zielstrebig durch die langen Flure des Tempels. Im gedämpften Licht der Feuerschalen tanzten die Schatten ihres schwungvoll um ihre Beine flatternden roten Kleides gespenstisch über die Wände. Der Wohlgeruch des würzigen Hickoryöls war an diesem Abend so intensiv, daß er den feinen Duft der Zedernpfosten völlig überlagerte. Aus den Zimmern drang ängstliches Gemurmel. Von irgendwo weit entfernt her hallte Tharons hohes, schrilles Gelächter durch den Tempel.
    Am Nachmittag hatten die Sternengeborenen sie - zum erstenmal - aufgesucht und gebeten, ihren Quellgefäßen Leben einzuhauchen. In ihrem verzweifelten Bestreben, Tharon zu gefallen, wollten sie in die Zukunft blicken und den Verlauf der bevorstehenden Kämpfe voraussehen. Nachtschatten hatte sie ausgelacht. Was war Tharon doch für ein Narr, wenn er dachte, sie würde ihm oder seinen Priestern und Priesterinnen jemals helfen.
    An diesem Tag hatte sie sich zwölf neue Feinde gemacht. Aber du wußtest, es mußte so kommen. Es war unvermeidlich.
    Nachtschatten ging weiter den Flur hinunter zu ihrem Zimmer … plötzlich blieb sie wie angewurzelt stehen. Orenda lag seitlich zusammengerollt vor Nachtschattens Tür. Schlief sie? Das Kind drückte eine riesige Puppe an seine Brust. Das schwarz-weiße Maskengesicht des Spielzeugs starrte Nachtschatten geheimnisvoll an. Dieses Meisterwerk aus geschnitztem Zedernholz stellte den Triumph des Lichts über die Dunkelheit zu Anbeginn der Zeit dar.
    Wie seltsam, daß Orenda den Mut aufgebracht hatte, vor ihrer Tür zu erscheinen. Niemand sonst besaß diese Kühnheit - nicht nach den Geschehnissen der vergangenen Woche -, nicht einmal Tharon.
    Sie kniete neben Orenda nieder. Das hübsche Gesicht des Mädchens wirkte gehetzt, die Wangen, umrahmt von zerzausten Haaren, waren unnatürlich blaß. Ihre Augen waren geschlossen, der Mund zuckte. Schmutz und Ruß befleckten ihr goldenes Gewand. Nachtschatten runzelte die Stirn. Hatte Orenda keine Dienerschaft? Kümmerte sich niemand darum, daß sie aß und sich ordentlich anzog? Eigenartig. Als Nachtschatten neun Sommer alt gewesen war, hatte sie zwei Bedienstete

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