Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
Vom Netzwerk:
auf, und das Kanu geriet ins Schaukeln. »Wir sind fast zu Hause.«
    »Cahokia war nie mein Zuhause, Dachsschwanz. Wer wüßte das besser als du.«
    Er blieb ruhig stehen. Schließlich drehte er sich um und ging zum Bug.
    »Warum bist du damals nicht nach Hause gegangen, Nachtschatten? Als Tharon dich aus Cahokia verbannt hat, warum bist du da nicht nach Talon Town zurückgekehrt? Du bist so feige.«
    »Ich war noch ein Kind.« Unhörbar formte sie die Worte. Damals wünschte sie nichts sehnlicher, als nach Hause zurückzukehren, aber mit vierzehn war sie zu ängstlich gewesen und hatte sich nicht alleine auf die lange Reise gewagt - diese Entscheidung hatte sie stets bitter bereut.
    Nachtschatten öffnete die Augen einen kleinen Spalt. In der Ferne fielen die Sonnenstrahlen schräg auf den wie ein künstlicher Berg aussehenden Tempelhügel. Es hatte dreihundert Zyklen gedauert und fünfzehn Millionen Körbe mit Erde gebraucht, um dieses überwältigende Monument für Mutter Erde zu errichten - und jetzt hatte Mutter Erde die Menschen verlassen.
    »Ja, natürlich«, zischte Schwester Datura. »Die Erste Frau weigert sich, mit Mutter Erde oder Vater Sonne zu sprechen, weil Tharon davon profitieren könnte. Er hat etwas Furchtbares getan. Du mußt herausfinden, worum es sich handelt. Warum die Erste Frau den Eingang zum Land der Ahnen mit einer Wand der Dunkelheit verriegelt hat. Du weißt, was Schlammkopf sagte. Jemand muß herausfinden, was Tharon getan hat, und die Angelegenheit in Ordnung bringen.«
    Sie nickte und flüsterte: »Ich weiß.«
    Schlammkopf kam zu ihr, als Nachtschatten vergeblich versucht hatte, die tiefschwarze Wand zu durchdringen. Sie hatte um Hilfe geschrien und an alle in Hörweite lebenden mächtigen Träumer einen Ruf gesandt, aber keine Antwort auf ihr Flehen erhalten. Schließlich war Bruder Schlammkopf gekommen und hatte zu ihr gesagt, sie müsse in die Welt der Menschen zurückkehren, mit Dachsschwanz zusammentreffen und wieder in Tharons Käfig leben. Sie hatte darum gebeten, Binse noch einmal sehen zu dürfen, und versprochen, sich dann in ihr Schicksal zu fügen. Aber Bruder Schlammkopf hatte ihr mitgeteilt, die Erste Frau habe sich in ihre Höhle zurückgezogen und weigere sich, den Menschen Einlaß in die Unterwelt zu gewähren.
    Tharon. Nachtschatten versuchte, ihre grauenvolle Angst vor ihm zu unterdrücken. Als sie noch Kinder waren, hatte er sie immer wieder geschlagen nur, weil ihm sein abgeschirmtes Leben langweilig war und er seinen Spaß haben wollte. Einmal schlug er ihr beide Augen blau und hämmerte ihr so brutal auf den Kopf, daß sich ihre Seele für zwei volle Tage von ihrem Körper trennte.
    Ihr von Angst durchsetzter Haß auf Tharon gärte im Laufe der Zyklen zu einer aufwühlenden Mischung aus Verachtung und Bösartigkeit.
    Das Kanu drehte nach links ab, um einer Flotte langsam fahrender, mit Baumstämmen beladener Flöße auszuweichen. Die Bäume waren im Hochland, zwei Tagesreisen von Cahokia entfernt, gefällt worden. Mit jedem Zyklus mußten die Leute eine weitere Reise auf der Suche nach Holz unternehmen. Zwar sprossen entlang der Ufer noch Schößlinge, aber sie wuchsen kaum länger als zwei Monde, dann wurden sie bereits als Bauholz oder Feuerholz verwendet.
    Beim Durchfahren der letzten Flußbiegung stürmte der durchdringende Geruch nach Fisch und jungen Pflanzen auf sie ein. Wasserschildkröten schleppten sich die schlammigen Ufer hinunter und platschten ins Wasser. Das Schilf war wieder zum Leben erwacht, grüne Blätter schössen zwischen den gelbbraunen Gerippen der im letzten Zyklus abgestorbenen Pflanzen hervor.
    Gespenstische Furcht packte Nachtschatten und schüttelte sie, ohne daß sie wußte, warum. Ein mitleiderregendes Wimmern drängte sich aus einem seit langer Zeit verschütteten Teil ihrer Seele herauf.
    Mein …« flehte sie stumm. »Nein, meine Schwester, das nicht.«
    Doch die Erinnerungen griffen mit eisernen Fäusten nach ihr und zogen sie unaufhaltsam in die Zeit vor zwanzig Zyklen, als sie zwischen fremden Kriegern eine andere Reise hatte antreten müssen.
    Zuerst blitzten nur vereinzelte Bilder auf; schließlich begannen sie zu fließen - und die Szenen kehrten mit erschreckender Wirklichkeit zurück: die wahnwitzige Flucht aus Talon Town, als man sie von einem Krieger zum anderen weitergereicht hatte. Die halbe Nacht trug man sie, dann zwang man sie zum Laufen, bis sie glaubte, ihr Herz werde zerspringen. Wieder erlebte sie die

Weitere Kostenlose Bücher