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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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vernachlässigt. Nachtschatten streckte die Hand aus und berührte es. Sie zitterte.
    In dem drückenden Schweigen wanderte Dachsschwanz ruhelos zwischen zweien der zwölf strahlenförmig vom erhöhten Altar aus verlaufenden Feuerschalenreihen hin und her. Der Künstler, der die Schalen geschaffen hatte, hatte den Ton zu Vogelköpfen geformt, die sich über den Rand der Gefäße erhoben: Adler, Falken und Tauben. Sie symbolisierten die von Vater Sonne erschaffenen Vögel, die Vogelmann als Helfer dienten und Botschaften zwischen den Menschen und anderen Lebewesen hin- und hertrugen. Wie die Legende prophezeite, würde Vater Sonne auflodern und die Welt sterben, sollten je die Flammen einer Schale in dieser heiligen Kammer verlöschen.
    »Oh!« Tharon hatte Dachsschwanz erspäht. Er ließ seinen Herrscherstab fallen, ging die drei Stufen vom Altar herunter und lief freudig erregt durch den Raum. Er klatschte in die Hände und hüpfte in seinem flatternden Umhang aus Adlerfedern auf und ab wie ein fünf Sommer alter Junge. »Oh, Dachsschwanz, ich freue mich, dich zu sehen! Was hast du mir mitgebracht? Wo ist es? Wo ist es?« Er wieselte um Dachsschwanz herum und tastete dessen Kriegshemd und Stiefel ab. Wie immer in dieser Situation hob Dachsschwanz ergeben die Arme, damit Tharon ihn absuchen konnte. »Ich weiß, du hast etwas. Was hast du mir mitgebracht? Gib es mir. Ich kann nicht warten!«
    Dachsschwanz zog das Halsband aus Amethysten und Muscheln aus seinem Gürtel und hielt es dem Sonnenhäuptling hin. Tharons Augen weiteten sich. Gierig griff er nach der Kette, trat einen Schritt zurück und betrachtete sie genauer. »Oh, sie ist wunderschön! Vielen Dank. Ich danke dir, getreuer Dachsschwanz. Rasch, leg sie mir um.«
    Tharon reichte sie Dachsschwanz, der küßte die Halskette und streifte sie behutsam über Tharons Kopf. Große Vorsicht war geboten, da sich die Launen des Häuptlings Große Sonne so schnell änderten wie die Formation der Wolken. Die leichteste Berührung an der falschen Stelle oder der kleinste Unterton in der Stimme konnte einen tödlichen Wutanfall auslösen.
    »So, mein Häuptling.«
    Tharon schlenderte gemächlich zum Altar zurück und zupfte begeistert an seinem Geschenk herum.
    Auf der Westseite der Kammer saß Orenda, das einzige Kind des Sonnenhäuptlings, mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Boden. Sie ließ ihren Vater nicht aus den Augen. Sechs Angehörige der Sternengeborenen standen hinter ihr - junge Männer und Frauen, alle in scharlachrote Gewänder gehüllt. In einem Halbkreis um sie herum lag eine stattliche Anzahl von Gegenständen der Mächte: elf Machtbündel, etliche Adlerfedern-Gebetsschwingen, ein Halsband aus runden weißen Steinen, ein Armband aus Amethyst, Kopfschmuck aus Eulenklauen und kunstvoll mit Perlen bestickte Mokassins.
    Nachtschattens Blick schweifte über diese Gegenstände und blieb an einem Machtbündel hängen. Es stellte eine seltsame Kreatur mit dickem, beinlosem Körper und einem langen, platten, mit grauer Farbe auf die Außenseite gemalten Schwanz dar. Sie neigte den Kopf zur Seite, als lausche sie auf unhörbare, von diesem Bündel ausgehende Stimmen.
    Noch immer auf der Hut vor seinem unberechenbaren Häuptling, streckte Dachsschwanz die Hände aus. »Mein Häuptling, hast du nicht etwas vergessen?«
    Verständnislos sah Tharon ihn an.
    Lautlos formte Dachsschwanz die Worte: »Der Trank.«
    »Oh! Ja!« Tharon klatschte in die Hände. »Kriegsführer Dachsschwanz und die große Nachtschatten sind angekommen! Bringt uns den heiligen weißen Trank!«
    Ein junger Sonnengeborener verschwand im Hintergrund. Nachtschatten schien sich des verlegenen Schweigens nicht bewußt zu sein, sie war völlig in sich versunken und starrte mit leeren Augen auf das Bündel.
    Langsamen, gemessenen Schrittes kehrte der junge Mann zurück. In den Händen hielt er einen großen, wunderschön gravierten Muschelschalenkelch. Singend trug er die Legende vor, wie einst die Erste Frau den Menschen das Geschenk des weißen Tranks brachte, damit sie einen klaren Kopf bekämen und einsichtig würden. Der »weiße« Trank war tiefdunkel, das Weiß stand für die Reinheit des Getränks. Als der junge Sonnengeborene näher kam, bemerkte Dachsschwanz das Zittern seiner Hände und die krampfhaft zusammengebissenen Zähne.
    Tharon, finster dreinblickend und scheinbar in Gedanken versunken, nahm das dargebotene Gefäß und trank einen großen Schluck, bevor er es zurückreichte.

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