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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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mit dem Kind auf dem Arm durch das Zimmer. »Da, Winterbeere. Nimm du ihn. Du kennst dich mit Babys besser aus als ich. Ich habe Angst, etwas falsch zu machen.«
    Doch er sagte nicht die Wahrheit. Der Anblick der Armstummel zerriß Primel vor Mitleid fast das Herz. Und dieses Gesicht. Er wappnete sich und guckte den anderen Jungen an, der, an Grüne Esche geschmiegt, auf der Decke lag. Das Kind starrte zurück - als könne es ihn aus diesen riesigen rosaroten Augen sehen. Weiße Haare klebten wie eine dicke, verfilzte Matte auf dem winzigen Kopf; der Mund stand so weit vor wie eine Schnauze. Das Gesicht ähnelte verblüffend dem eines Wolfes. Es versetzte Primel in Angst und Schrecken. Hastig wandte er den Blick ab.
    »Da, Winterbeere«, wiederholte er. »Nimm du ihn.«
    Behutsam nahm ihm die alte Frau das Bündel ab und drückte es an ihre welken Brüste. »Wo ist Nessel?«
    »Ich habe nach ihm schicken lassen. Er wird bald da sein.«
    Mit fortschreitender Dämmerung ließ die brütende Hitze nach. Eine kühle Brise wehte wie der Atem eines schlummernden Riesen zum Fenster herein. Primel fröstelte in seinen völlig durchgeschwitzten Kleidern. Kalter Schweiß tropfte von seinen Achselhöhlen, lief ihm an den Seiten hinab und tränkte den Bund seines Rockes.
    Draußen näherten sich Schritte. Nessel duckte sich unter der Tür und eilte sofort zu Grüne Esche. Er kniete nieder und nahm ihre leblosen Finger fest in seine Hand - darauf bedacht, den mißgebildeten Jungen, der neben ihr auf der Decke lag, nicht anzusehen. Nessel wechselte einen Blick mit Nisse.
    »Grüne Esche … geht es ihr gut?« fragte er.
    »Spiel nicht an ihr herum«, befahl Nisse energisch. »Sie ist todmüde und braucht Ruhe. Und ich will nicht, daß du sie wegen der Babys verrückt machst. Ich … ich weiß nicht, warum die Erste Frau das getan hat, aber ich fühle große Mächte in diesen Kindern.«
    Zärtlich küßte Nessel Grüne Esches Hände und erhob sich. Mit großer Würde sah er Winterbeere an.
    »Die Babys sind geboren. Wann darf ich Grüne Esche heiraten? Ich hoffte -«
    »Du mußt sie nicht heiraten, Nessel«, sagte Winterbeere erschöpft. »Es gibt keine Garantie, daß zukünftige Kinder nicht auch -«
    »Ich will Grüne Esche heiraten«, beharrte er heftig. »Wann kann ich sie heiraten? Wann gibst du deine Zustimmung?«
    Winterbeeres Miene drückte Hochachtung vor seinem tapferen Entschluß aus. »Sobald sie aufstehen und gehen kann. Übereile nichts. Sie muß Vorbereitungen treffen … und sie muß über andere Dinge nachdenken.«
    Winterbeere wandte sich an Primel. Sie sah müde und erschöpft aus, dunkle Ringe umrahmten ihre Augen. »Da Grüne Esche bettlägerig ist, brauche ich eine Vertretung als Sprecherin des Stammes. Ich dachte, vielleicht erklärst du dich dazu bereit.«
    Primel begann vor Überraschung zu stottern. »Ich … das … das hatten wir noch nie.« Er war eingeschüchtert, aber auch stolz, daß sie in diesem Zusammenhang an ihn gedacht hatte.
    »Die Welt steckt voller Merkwürdigkeiten, Primel. Wir müssen uns dringend um wichtige Angelegenheiten kümmern. Mehlbeere hat uns bereits öffentlich des Verrats bezichtigt. Ich mache mir Sorgen, was ihr als nächstes einfällt. Du hast eine weibliche Seele - das allein zählt. Niemand wird so unhöflich sein und dich darauf ansprechen, daß dein Körper der eines Mannes ist.«
    Zustimmend neigte Primel den Kopf. »Es ist mir eine Ehre, Tante.«
    »Gut. Komm später in mein Haus. Dann sprechen wir über deine Pflichten.«
    Winterbeere warf einen letzten Blick auf die schlafende Grüne Esche, drehte sich um und ging in das malvenfarbene Licht der Dämmerung hinaus. Primel und die anderen waren mit den wimmernden Neugeborenen allein.

KAPITEL 29
    Die westwärts über das Lager segelnden Wolken flammten rostrot auf. Dachsschwanz stand an einen Felsen gelehnt und sah in die Ferne. Er konnte bis zum Vater der Wasser blicken. Der Wind hatte aufgefrischt und bewegte den Baldachin aus blütenbefrachteten Zweigen über ihm.
    Dachsschwanz riß sich von dem Anblick der Landschaft los und begann an seinem Stilett zu arbeiten, das aus dem Vorderbein eines Hirsches geschnitzt worden war. Die anfangs nadelscharfe Spitze war allzu rasch stumpf geworden, zu viele Opfer hatte er damit getötet. Sorgfältig begann er sie zu schärfen. Dabei dachte er besorgt über seine Lage nach. Er brannte darauf, dieser »Zufluchtsstätte« den Rücken zu kehren. Anfänglich hatten die Felsen wie ein

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