Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
Wellen schleuderten eine weiße Schaumschicht gegen den dunklen Sand. Hinter den Brechern wogte das Meer auf und nieder, es war grau und unheilschwanger wie der Himmel. Bei Tagesanbruch hatte der Himmel begonnen, sich mit Wolken zu überziehen, und mittags hatten sie Bruder Himmels blauen Bauch vollständig verdeckt. Die Kälte, die der Wind vor sich hertrieb, war wie ein Echo der Kälte in seiner Seele.
    Sonnenjäger schlug den Kragen seines elchledernen Mantels hoch. Vor ihnen ragte der Fuß eines verwitterten Hügels in den Strand hinein. Vom Wind verkrüppelte Tannen wuchsen in dichten Gruppen auf der Kuppe des Hügels und sprenkelten die felsigen Hänge. Auf der anderen Seite des Hügels reckten sich die Äste von ein paar struppigen Espen. Ihre blaßgrünen Blätter zitterten im Wind.
    »Werden sie uns den ganzen Weg bis zum Otter-Klan-Dorf folgen?« fragte Turmfalke und warf einen Blick über die Schulter. Ihr schwarzes Haar verfing sich im Wind und legte sich wie ein Netz über ihr Gesicht.
    Sonnenjäger blickte nachdenklich auf die Mammutkuh und deren Kalb, die leise am Rande des Wassers dahintrotteten. Nachdem er und Turmfalke das Lager verlassen hatten, waren die Mammuts aus dem Wald gekommen und hatten sich ihnen angeschlossen. Das Kalb hielt den Schwanz seiner Mutter mit dem Rüssel fest. »Ich weiß es nicht. Wir werden es ja sehen.«
    »Es würde mir gefallen«, sagte Turmfalke lächelnd.
    »Ja, wirklich?«
    »O ja. Ich fühle mich nur als Ganzes, wenn Tiere in der Nähe sind.«
    »Die Weisen sagen, daß wir uns nur durch die Augen der Tiere richtig erkennen können … so, wie wir sind. Weil Tiere die Seele des Menschen sehen, anders als die Menschen, die oft nur den Körper sehen.«
    Turmfalke drückte Wolkenmädchen fester an sich und drehte sich leicht, um das Kind vor einem plötzlichen Windstoß zu schützen, der Spritzer von Meerwasser mit sich führte. Gedankenverloren zog sie die Brauen zusammen.
    Sonnenjäger zeigte nach vorn. »Das Walbarten-Dorf liegt direkt hinter diesem Hügel, Turmfalke.«
    Helfer lief zu Sonnenjägers Rechter. Mühelos zog er das Schleppgestell hinter sich her, doch die Zunge hing ihm aus dem Maul. An den kahlen Stellen war ihm nun ein kurzer, dichter Pelz gewachsen. Der ließ seine Schnauze länger wirken und seine Ohren spitzer. Er sah einem Wolf ungemein ähnlich, aber um die Augen hatte er einen Ring aus lohfarbenem Haar, die einzige helle Stelle in seinem Fell. Sein Schwanz war nun wie eine dunkle Fahne.
    Turmfalke schob mit der Hand ihr vom Wind zerzaustes Haar aus der Stirn, während sie den Hügel in Augenschein nahm. Wolkenmädchen wachte auf und blickte aus ihrem Sack blinzelnd in die Welt.
    »Walbarten-Dorf?« fragte Turmfalke.
    »Ja. Ich war schon zwei Jahresumläufe nicht mehr hier, aber das Oberhaupt war früher ein Mann namens Zecke.«
    »Dann ist also seine Frau die Älteste des Klans. Ist das richtig? Und sie und ihre Schwestern sind die Besitzerinnen des Dorfes.«
    »Du lernst sehr schnell. Ja, so ist das hier an der Küste geregelt. Und wenn diese Frauen sterben, werden ihre Töchter die Führungsrolle in den Zelten und bei der Nutzung der Muschelbänke übernehmen. Die Töchter werden auch alles erben, was ihre verstorbenen Mütter besaßen.«
    Turmfalke schüttelte erstaunt den Kopf. »Das ist so ganz anders als die Regelung bei meinem Volk. In meinem Klan besitzen und bestimmen die Männer alles. Eine Frau hat nichts, was ihr gehört. Ich weiß nicht, ob ich mich je an die Regeln des Küstenvolkes gewöhnen werde.«
    Sonnenjäger lächelte, und als sie zurücklächelte, hatte er plötzlich einen Kloß im Hals. Er nahm ihre Hand und verflocht seine Finger mit den ihren. Die Berührung beruhigte etwas tief in seiner Seele.
    »Doch, daran gewöhnst du dich. Es wird nicht lange dauern. Ich bin sicher, daß du in drei oder vier Monden fast alles verstehst. So ist es einfacher, weißt du. Und es ist sinnvoll. Die Leute streiten sich nicht darüber, welche Familie was bekommt, wenn ein Mann und eine Frau entscheiden, daß sie nicht mehr miteinander auskommen. Niemand streitet über die Muschelbänke oder die Stellen, wo man Wurzeln findet.«
    »Was wird schwierig für mich sein, Sonnenjäger? Gibt es Dinge, die sehr kompliziert sind?«
    »Ja, ein paar. Schwierig ist es zum Beispiel, sich mit den Verwandtschaftsgraden auszukennen und zu wissen, wie sie das Verhältnis der Menschen untereinander beeinflussen. Ich lebe seit fünfundzwanzig Sommern, und noch

Weitere Kostenlose Bücher