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Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste

Titel: Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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immer habe ich die genauen Auswirkungen verwandtschaftlicher Beziehungen nicht völlig verstanden. Aber als Mann muß ich das auch nicht. Verwandtschafts- und Eigentumsverhältnisse gehören in den Bereich der Frauen. Beziehungen zwischen den Klans werden in Hinblick auf die wirtschaftlichen Vorteile geknüpft. Mit anderen Worten, du wirst Wolkenmädchen nicht einfach mit irgendeinem dahergelaufenen Mann verheiraten, der eine Zuneigung zu ihr gefaßt hat, sondern mit jemandem, aus dem der Otter-Klan Vorteile ziehen kann.«
    Glücklich schwang sie seine Hand in der ihren. »Aber wenn sie sich jemanden aussucht, aus dem der Otter-Klan keine Vorteile ziehen kann?«
    Sonnenjäger lachte. »Das wird sie nicht. Wolkenmädchen ist deine Tochter, und daher wird sie wissen, was ihre Pflichten sind.«
    Turmfalke hielt ihr Gesicht dem kühlen Wind entgegen und ließ ihn über ihre gebräunte Haut streichen. Sonnenjäger betrachtete sie und fuhr zärtlich jeder Linie, jeder winzigen Unvollkommenheit mit Blicken nach. Neben ihrem rechten Ohr verlief der dünne Strich einer alten Narbe. Eine andere lief im Zickzack ihren Hals entlang. Beide waren kaum sichtbar. Und sie hatte die verheilte Wunde, die sich über ihre Stirn zog. Wie sie die bekommen hatte, wußte er. Und die anderen beiden? Unfälle in der Kindheit? Oder eine weitere Hinterlassenschaft von Stechapfels Wut?
    Der Gedanke, daß jemand sie verletzt hatte, brachte sein Blut zum Kochen. Er hoffte, niemals das Unglück zu haben, Stechapfel begegnen zu müssen. Er konnte nicht dafür garantieren, daß er sich so würdevoll verhalten würde, wie sich das für einen Träumer geziemte. Vergangene Nacht hatte er geträumt, er hätte Stechapfel mit bloßen Händen in Stücke zerrissen. Er hatte sich gut dabei gefühlt, und das machte ihm ein wenig Sorgen.
    Sie umgingen den Fuß des Hügels, und das Walbarten-Dorf kam in Sicht. Auf der windgeschützten Seite des Hügels standen mehr als ein Dutzend Zelte in einem zu den brüllenden Wogen Mutter Ozeans hin geöffneten Halbmond. Ein Schwarm Möwen segelte laut kreischend über den Zelten durch den Wind.
    Sonnenjäger zog die Brauen zusammen. Niemand war draußen. Normalerweise sollten die Kinder im Sand spielen, die Männer vor den Zelten beim Würfelspiel sitzen und die Frauen Fischnetze aus Yuccasträngen knüpfen. Das große Feuer auf dem Dorfplatz war vollständig heruntergebrannt. Nur die größten der erloschenen Holzkohlenstücke waren nicht vom Wind verweht worden. Sie lagen in einem Haufen an der östlichen Seite der Feuerstelle.
    »Turmfalke«, sagte Sonnenjäger, als sie sich dem ersten Zelt näherten. Eine schlechte Vorahnung hatte ihn erfaßt. »Warte hier auf mich. Irgend etwas ist nicht in Ordnung. Ich weiß nicht was, aber es wäre mir lieber, wenn du nicht mitkämst.«
    Turmfalke betrachtete ihn besorgt. Ja, auch sie spürte eine Gefahr in dieser merkwürdigen Stille. »Ich werde dort bei den Espen warten, Sonnenjäger.«
    »Ich komme zurück, sobald ich weiß, was passiert ist.«
    Seine Mokassins versanken in dem weichen Sand, als er laut rufend weiterging. »Zecke? Leuchtende Jägerin? Ist irgend jemand da? Wo seid ihr?«
    Ein kleiner alter Mann schlüpfte aus einem Zelt. Er wirkte so zerbrechlich wie ein Distelstengel im Winter. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er zu ihnen hin, stieß dann einen aus tiefer Kehle kommenden Ton überraschter Freude aus und rannte auf sie zu. Er hatte sein kurzes graues Haar zu einem Zopf geflochten, der ihm über den Rücken hing. Hose und Hemd aus Bockleder waren mit Schweißflecken und Blutspritzern bedeckt.
    »Sonnenjäger! O Heilige Geister. Wir haben gebetet, daß du kommst!« Er umfaßte Sonnenjäger und umarmte ihn stürmisch. »Wir waren so verzweifelt, Sonnenjäger. Mehr als zwanzig Menschen sind gestorben. Sogar,« Tränen schimmerten in den altersblassen Augen, »sogar meine geliebte Leuchtende Jägerin.«
    Sonnenjäger hielt den alten Mann fest im Arm und ließ ihn weinen. »Ich wußte nicht, daß ihr eine Krankheit im Dorf hattet, Zecke, sonst wäre ich schon längst gekommen.«
    Der alte Mann schob sich von Sonnenjäger weg und schaute mit feuchten Augen zu ihm auf. »Aber jetzt bist du da. Gesegnet seien die Geister. Ich kann dir nicht sagen, wie froh ich bin, dich zu sehen.«
    »Erzähl mir von der Krankheit.«
    Sonnenjäger hakte sich bei Zecke ein, um den gebrechlichen Alten zu stützen, und zusammen gingen sie zu der erkalteten Feuerstelle auf dem Dorfplatz.

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