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Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen

Titel: Vorzeitsaga 06 - Das Volk an den Seen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Angst.
    Sternmuschels Beine schmerzten vom verkrampften Sitzen im Kanu. Inzwischen hatte sie sich etwas an das Kanufahren auf dem großen See gewöhnt, fürchtete aber noch immer die hohen Wellen.
    Sie versuchte, schnell zu paddeln, damit sie nicht zu sehr fror.
    Am Geräusch der Brecher, die am Ufer zu ihrer Rechten ausrollten, und am weißen Schaum der Wellen konnte Sternmuschel sich orientieren. Die Nacht zog sich hin - und Bleiche Schlange weigerte sich zu sprechen. Wenn sie nach hinten schaute, sah sie seine dunkle Silhouette.
    »Bleiche Schlange? Was hast du gesehen?«
    Wie schon die ganze Nacht sagte Bleiche Schlange kein Wort. Als ob er seelenlos geworden wäre, nur vom Aufblitzen seines Paddels und dem Schaukeln seines Körpers bei jedem Schlag getrieben.
    Sternmuschel sah nach ihrer Tochter, die in die Decken gekuschelt schlief.
    Warum spricht er nicht? Hatte die Maske Bleiche Schlange etwas angetan? Seine Seele aufgegessen?
    Ihn gegen sie eingenommen? Plante er schon, wie er sie Wanderdrossel ausliefern könnte?
    Bleiche Schlange fühlte sich ausgedörrt und verlassen.
    Kaum hörte er ihre inständigen Bitten, endlich zu reden, zu erklären, was geschehen war. Er biß die Zähne zusammen und trieb sich an, noch kräftiger zu paddeln. Die Maske hatte seine Fragen beantwortet. Ja, Langer Mann hatte ihm eine Falle gestellt - und der Plan war aufgegangen, wenigstens zum Teil. Zum äußersten Verrat war es nicht gekommen.
    »Aber warum?« hatte er gefragt. »Warum hat mein Vater sie zu mir geschickt?«
    Gerechtigkeit, hatte die Maske ihm erklärt, und vor seinen Augen waren Szenen aus der Vergangenheit aufgeblitzt. Diese Bilder hatten sich tief in seinem Gehirn eingebrannt, und nun begann er, sie zu ordnen.
    »Ist Sternmuschel eine Falle? Wird sie mich vernichten?«
    Ja.
    »Wie?«
    Die Maske hatte ihm den Schlüssel gegeben, es herauszubekommen. Frag Sternmuschel nach der Frau, die Langer Mann entehrt hat. Und dann die Warnung: Flieht! Schnell! Wanderdrossel und seine Krieger vom Blauentenclan sind euch dicht auf den Fersen!
    Während nun die Dämmerung die Dunkelheit im Osten vertrieb, konzentrierte sich Bleiche Schlange auf die Bilder, die ihm die Maske gezeigt hatte. Bilder von seiner Frau, von seinem Vater und von sich.
    Um nicht aus tiefster Seele zu schreien, zwang er sich zu paddeln, um seine Verzweiflung in das Holz und das Wasser abzuleiten. Er trieb sich an, ohne auf den Schweiß zu achten, der an ihm hinabrann und seine Kleidung durchnäßte. Er war ein Verfolgter, der vergeblich vor den Dämonen in seinem Kopf floh.
    Zu Perles Überraschung schwebte ihre Seele in seliger Heiterkeit, während sie Wellentänzer mit dem Krähenkopfpaddel auf die orangerot leuchtende Morgendämmerung zusteuerte. In der Nacht hatte sie die Küste aus den Augen verloren und war immer mehr nach Norden gekommen, aber die Wellen schienen sie zu ihrem Bestimmungsort zu tragen. Noch tauchte keine Uferlinie auf, aber solange sie auf den Nordosten zuhielten, würden sie entweder das Nordufer oder das Ostufer finden und dann den Kurs korrigieren.
    Otter schlief im Bug. Schwarzschädel tadelte Grüne Spinne, weil er die Luft ungenutzt durch die Windfalle schlüpfen ließ.
    Perle überließ sich dem Wunder des Morgens, dem Wunder, das Wellentänzer vollbrachte, der vom Brausen des Windes und des Wassers belebt wurde; des Kriegers und des Verdrehers, die sich mühten, die Windfalle zu spannen; am meisten aber Otters, ihres Geliebten.
    Ihretwegen würden alle weiterleben. Zum ersten Mal in ihrem Leben verstand sie, was es bedeutete, eine Frau zu sein. Nicht ihrem Clan zu dienen oder ihre Kinder zu trösten oder ihren Mann zufriedenzustellen. Ihre Rolle war es, die alten Bräuche zu bewahren und die Menschen, die sie liebte, zu schützen, mochte der Preis auch noch so hoch sein.
    Ich kann dies tun und sogar gut tun. Wenn es nur einen Weg gäbe, dies alles ohne Schmerz zu tun. Sie wußte, daß sie schreien würde, wenn die Khota sie brannten, und winseln, wenn sie sie schlugen, aber das wäre eine Schwäche des Fleischs, nicht der Seele.
    Ihre Seele würde die Waffe sein, mit der sie die Khota besiegen würde… die einzige Waffe, die sie besaß und von der sie nichts wußten.
    Otter erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Er lag unbequem zusammengerollt, und die weiche Wärme, die er in der Magengrube spürte, war Schnapper, nicht Perle. Zärtlich streichelte er den Hund und flüsterte ihm ins Ohr, wieviel er ihm verdanke, wie sehr er

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