Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
keuchte er.
Schote kam mit erhobenem Atlatl aus dem Wald gelaufen. »Teichläufer«, brüllte er, »steh auf, damit ich dich sehen kann.«
Der Junge gehorchte, hatte aber große Mühe, sich zu erheben. Das weiße Haar umflatterte sein angespanntes Gesicht; er schob die Kapuze zurück und stellte sich breitbeinig hin, zitterte aber wie ein Grashalm im Sturm.
Schote ging am Blitzjünger vorbei zu Eulenfalter und beobachtete dabei den Wald.
»Großvater«, sagte Eulenfalter erleichtert, als sie sich umarmten, »dank den Geistern bist du zur rechten Zeit gekommen, sonst wären wir alle tot.«
»Du meinst, dank den Geistern, dass deine Mutter herkam. Sie spürte, dass etwas nicht stimmte, das war vor etwa einer halben Zeithand. Sie warf uns ihren Beutel zu und rannte mit aller Kraft los.
Teichläufer und ich folgten ihr, so schnell wir konnten. Am Waldrand sah ich gerade noch zur rechten Zeit, wie die zwei Krieger deine Mutter packten. Das war mein Speer, der den einen rechts von ihr durchlöcherte.«
Stolz schlug Eulenfalter seinem Großvater auf die Schulter. »Dank den Geistern.«
Schotes hageres altes Gesicht fiel zusammen, als er all die Toten im Dorf herumliegen sah. Flügelriss lag nicht weit von Sandbank entfernt; die beiden jungen Krieger waren tot. Voller Trauer sah er Eschenblatt; dem Ältesten war es gelungen, noch so lange am Leben zu bleiben, dass er den Speer eines Fehlwurfs aufheben konnte. Er lag auf der Seite, den Speer mit ausgestreckter Hand umklammernd.
»Wo sind die anderen?« fragte Schote.
»Viele rannten in den Wald, verfolgt von Kupferkopfs Kriegern. Ich glaube, Seeigel lief hinaus, um unsere Frauen und Kinder zu schützen. Wir können nur hoffen, dass ein paar von ihnen …« Eulenfalter schüttelte den Kopf.
Schote nickte. »Wo ist dein Bruder? Ich sehe ihn nicht.« In seiner alten Stimme schwang quälende Angst mit. Sein Blick suchte unter den Toten nach kleinen Leichen.
»Ich hab ihm gesagt, er soll sich im Wald verstecken.« Eulenfalter hielt sich die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: »Stacheljunge! Stacheljunge!«
Palmenwedel schlugen im Wald zusammen, und aus den Schatten kam der kleine Junge gerannt, Gesicht und Arme zerkratzt, welke Blätter im Haar. Seine Augen waren so groß wie kleine Monde.
Kniend fing Schote Stacheljunge auf und drückte ihn an sich. »Ich war in Sorge«, sagte er.
»Ich habe mich in einem Dachsbau versteckt, Großvater, und alte Zweige drüber gezogen. Dauernd sind Krieger drum herumgelaufen.«
Schote küsste den Jungen heftig auf die Stirn. »Du bist sehr schlau. Du wirst mal ein großer Krieger.«
Eulenfalter klopfte seinem Bruder auf den Rücken und humpelte zum Blitzjünger. Teichläufer war eine Handbreit größer als Eulenfalter, hatte aber schmächtige Schultern und sah in seinem langen Gewand sehr hager aus. Immer noch zitterte er stark und keuchte, als wäre er den ganzen Weg vom Kernholz-Dorf hergerannt, um die Schlacht aufzuhalten. Als Eulenfalter näher kam, kniff der Blitzjünger die Augen zu, und zwei scharfe Linien gruben sich in die rosige Haut zwischen den dünnen weißen Brauen.
»Ich bin Eulenfalter«, sagte er, »der Sohn von Muschelweiß. Das war sehr mutig von dir, den Männern ohne Atlatl in der Hand entgegenzutreten.«
Teichläufer schaute auf, fuhr sich mit der Zunge über die blassen Lippen und antwortete: »Nein, nein, das stimmt so nicht. Ich konnte keinen von denen sehen. Hie und da« - er machte eine unbestimmte Handbewegung - »sah ich etwas Schattenhaftes, das sich durchs Dorf bewegte, aber ich wusste wirklich nicht, ob das ein Mensch war. Was mich betrifft, hätte es genauso gut ein großer Bär sein können.«
Eulenfalter blickte in diese unheimlichen rosa Augen und fragte: »Kannst du nicht sehen?«
»Nur aus nächster Nähe. Dich sehe ich jetzt ganz gut.«
Schote gesellte sich zu ihnen und trug Stacheljunge auf den Hüften. Als der Junge Teichläufer sah, starrte er ihn unverwandt an. Schote sagte: »Stacheljunge, das ist Teichläufer, der neue Ehemann deiner Mutter.«
Stacheljunge steckte sich einen Finger in den offenen Mund und nuschelte: »Ich habe gesehen, wie du diese Krieger verscheucht hast. Deshalb will ich dich nicht mehr töten. Ist vielleicht gut, dich in der Nähe zu haben.«
Teichläufer wandte sich stirnrunzelnd an Schote. »Dein Enkel wollte mich töten?«
Schote zog die weißen Brauen hoch. »Das hat er zwar gesagt, aber ich glaube nicht -«
»Einen Augenblick!«
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