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Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Titel: Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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Regen.«
    »Natürlich darfst du. Kriech unter die Decke, ich komme gleich nach. Ich will nur noch eine warme Tasse Tee trinken.«
    »Vielen Dank, Großvater.« Er stand auf, umschlang Schotes Nacken und ging dann quer durch die Hütte zur Lagerstatt, wo er unter die rot gestreifte Decke schlüpfte; nur noch sein schwarzer Scheitel war zu sehen.
    Schote nahm die Schale auf seinen Schoß und aß den kalten Fisch auf. Es stimmte schon - Muschelweiß stand möglicherweise die ganze Nacht im Regen. Schote konnte sie nicht tadeln. Auch er hatte ungute Ahnungen. Immer wenn er in der Nacht zuvor die Augen geschlossen hatte, zeichnete seine Erinnerung tote Männer, tote Tiere, tote Fische, die an den Strand gespült wurden - immer wieder, so als quälte sich seine Seele in einer magischen Falle, aus der es kein Entkommen gab.
    Unter den Böen knirschten und ächzten die Hütten. Die Luft roch wie gewaschener Stein - feucht und erdhaft. Hie und da hatten sich die Wolken geteilt, und dann sah er die Leuchtleute, die auf dem Weg zum Land der Morgendämmerung durch den klaren Himmel segelten.
    Schote atmete flach aus. Da oben lebte seine Frau, Donnerwolke, und jagte, fischte und lachte. Es schmerzte ihn, dass er sie vermutlich nie wieder sehen würde. Nur wer friedlich starb, verließ die Welt auf dem Rücken von Sternschnuppen und wurde emporgetragen, über den Himmel hinaus, um sich zu den Leuchtleuten zu gesellen. Wer aber eines gewaltsamen Todes starb, der ging in ein anderes Jenseits, durchschwamm einen langen dunklen Tunnel und gelangte ins Dorf der Verwundeten Seelen, wo es Schnee und Kälte und unaufhörliche Kämpfe gab. Schon der Gedanke an die Kälte ließ ihn erschauern.
    Die Stofftaschen an den Dachstangen knarrten im Wind. Schote hörte ihnen zu, aber sein Blick war starr auf den Wald gerichtet. Was waren das für schattenhafte Gestalten? Wahrscheinlich Wachtposten. Aber vielleicht auch Geister. Früher war Schote ein tapferer Krieger gewesen. Er hatte Dutzende von Männern getötet, alte und junge, manche noch kaum den Mannbarkeitsriten entwachsen, und auch einige Kriegerinnen. Verschiedene dieser Seelen lauerten noch im Dunkel. Sie waren zu lange auf der Erde geblieben, bevor ihre Familien sie gefunden hatten. Schote kannte jeden Einzelnen; das Bild ihrer Gesichter hatte sich in seine Seele eingegraben, manche überstrahlt von der schräg stehenden Nachmittagssonne, andere im grauen Dämmerlicht. Wieder andere starrten ihn mit durchscheinenden Gesichtern an, vom Glanz eines längst vergangenen Morgenrots lavendelfarben getönt.
    Seltsam, dass er sie so sah, wie sie Augenblicke vor ihrem Tod ausgesehen hatten und eben nicht nach ihrem Tod, als Blut und Schmutz die glasigen Augen schon überdeckten.
    Damals waren sie Feinde gewesen, aber nach vielen langen Sommern waren sie Freunde geworden, die erschienen, um ihn vor drohenden Kämpfen oder vor Herzeleid zu warnen.
    Seit zwei Nächten war ihm, als hätte er sie gesehen, wie sie durch die Wälder schlichen, die durchsichtigen Leiber vom Silberlicht der Sterne umstrahlt. Flüsternd gaben sie in seinen Träumen Wahrheiten preis, die so ungeheuerlich waren, dass er sich weigerte, sie zu glauben.
    In den stillen Nischen seiner Seelen klagten unterdrückte Stimmen: »Nein, nein, das kann nicht sein.
    Muschelweiß würde zerbrechen.«
    Zweimal zehn und fünf Sommer lang hatte Tauchvogel wie eine Felswand zwischen Muschelweiß und der Welt gestanden, hatte sie ermutigt und unterstützt. Nur Tauchvogel und Schote wussten, wann Muschelweiß die ganze Nacht geschluchzt hatte, nachdem Freunde von ihr gestorben waren.
    Muschelweiß glaubte, dass eine Führerin im Kampf vor ihren Kriegern unbesiegbar zu erscheinen hatte und dass jede Schwäche, die sie zeigte, auch jeden anderen in ihrem Umkreis schwächen würde.
    Aber das hieß auch, dass sie nie menschliche Züge zeigen durfte - nicht vor anderen. Ausgenommen vor Tauchvogel. Und, gelegentlich, vor Schote.
    Er atmete tief aus. Vier Posten wachten rings um das Dorf. Der Schatten eines stämmigen Mannes bewegte sich unter den nördlichen Eichen; er wusste, dass Schwarzigel dort aufgestellt war. Die Wachen würden sofort brüllend Alarm geben, wenn Feinde auftauchten.
    Stacheljunge schnarchte jetzt leise.
    Schote nahm seine Kürbistasse Tee auf, hakte sein Atlatl an den Gürtel und ergriff drei Speere. Auf Zehenspitzen ging er hinaus in den Nieselregen, auf seine Tochter zu. Seine bloßen Füße sanken in dem nassen Sand ein.

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