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Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze

Titel: Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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dieselbe Hütte geteilt.«
    Tauchvogel hatte sie zweimal zehn und fünf Sommer geliebt. Er kannte jede Falte ihrer Seele, und die Grausamkeit, die Kupferkopf beschrieben hatte, die gab es nicht. Wenn Muschelweiß den Mann, den sie liebte, verraten hatte, dann musste sie so verzweifelt gewesen sein, dass sie keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte. Tauchvogel hatte sie schon verzweifelt erlebt, vielleicht sogar so verzweifelt, dass sie auch ihn verraten hätte, wäre sie zu Handlungen gezwungen worden, die auszuführen ihren tiefsten Abscheu hervorgerufen hätten. Aber er hatte sie nie derart verzweifelt gesehen, dass sie es vermocht hätte, einen ihrer eigenen Söhne zu töten.
    »Ich muss sie in meine Falle locken, Tauchvogel«, murmelte Kupferkopf. »Die Blitzvögel kommen bald zu mir. Aber vorher muss ich Muschelweiß sehen, sonst werde ich niemals in die prachtvolle neue Welt gelangen, die mir in meinen Träumen versprochen worden ist.«
    »Warum? Was hat sie mit den Blitzvögeln zu tun?« Kupferkopf streckte eine Hand aus, bog die Handfläche nach oben und hielt sie eine Weile so; dann schloss er die Finger zur Faust. »Sie hält einen Blitzjünger in ihrer Hand. Er wird mich befreien. Aber nur, wenn Muschelweiß es ihm sagt.«
    Verwirrt konnte Tauchvogel nur entgegnen: »Du wirst sie niemals in deine Falle locken.«
    Kupferkopf deutete mit der Faust auf ihn. »Aber ich habe den besten Köder, den es gibt.«
    »Du bist ein Narr! Glaubst du etwa, sie käme mit einer Streitmacht in dieses schwer bewachte Dorf, nur um mich zu retten? Niemals!«
    Kupferkopf ließ die Hand fallen. »Ich glaube nicht, dass sie das Leben ihrer Krieger aufs Spiel setzt, höchstens ihr eigenes und das des Blitzjüngers.« Er nickte. »Deinetwegen wird sie kommen, Tauchvogel. Ich kenne sie. Sie liebt dich. Und sie weiß, was ich dir antun könnte. Was ich dir bestimmt antun werde - wenn du erst wieder bei Kräften bist.«
    Er wandte sich zu seinen Kriegern um; beide Männer sprangen auf und erwarteten seine Befehle.
    »Schneidet ihn los. Gebt ihm zu essen. Holt die alte Seestern und sagt ihr, sie soll sich um seine Wunden kümmern. Er muss unter allen Umständen am Leben bleiben. Verstanden?«
    Maulbeere antwortete: »Ja, Geistältester. Wir kümmern uns darum.«
    Kupferkopf ging bis zum Ende der Hütte und hielt inne; offenbar dachte er nach. »Maulbeere!«
    »Ja?« Der junge Mann war völlig erstarrt, als er seinen Namen gehört hatte. »Was noch?« fragte er nervös.
    Der Feuerschein glitzerte in den Silbersträhnen von Kupferkopfs Haar. »Schick einen Boten zum Windeck-Clan. Vielleicht glaubt Muschelweiß, dass ihr Mann tot ist. Der Bote soll ihr sagen, dass er lebt.«
    Es blitzt. Blaue Adern durchziehen den schwarzen Bauch von Bruder Himmel. Purpurne Risse zerschneiden krachend die Nacht. Alle Blitzvögel der Welt müssen auf den Schultern des Sturmmädchens hergeflogen sein. Sie fliegen wild um mich herum, ihre feurigen Schwanzfedern wischen über den Hintergrund meiner Augäpfel. Ich habe Angst.
    Der Rest von Kernholz-Dorf schläft. Nach dem Abendessen zogen Rotalge und meine Großmutter ihre Decken nahe an die Feuergrube wegen der Wärme. Sie sind nichts als dunkle Klumpen, bis die ziellosen Flüge der Blitzvögel zuckende Leuchtspuren über ihre Gesichter ziehen. Sie wachen nicht auf. Sie rühren sich nicht einmal.
    Ich liege bebend auf meiner Schlafmatte, die Finger in meine Decken gekrampft. Das Zittern wellt durch mich hindurch bis in die Zehen und die Fingerspitzen, und ich kann nichts dagegen tun.
    Großmutter glaubt, dass ich Fieber habe. Sie hat mich mit Brühe gefüttert. Hat mir Gesicht und Arme mit einem kühlen, nassen Tuch abgewaschen. Aber ich habe kein Fieber. Ich weiß Bescheid.
    Die Geister haben mich schon darauf vorbereitet. Sie haben gesagt, wenn der Heilige Teich die verflochtenen Seelen rein wäscht, entwirren sie sich. Die Stränge winden sich aus dem Mund heraus, gleiten in die Luft und verlassen den Körper. Dann rüttelt sich das Fleisch auseinander, weil es durch nichts mehr zusammengehalten wird. Wie Felsbrocken, die bei einem Erdrutsch von einer Klippe hinunterstürzen, so fallen Beine, Arme, Eingeweide ab, gewichtslos in dünner Luft, und entgleiten immer weiter, bis die Ferne sie verschlingt.
    So fühle ich mich. Mein Herz schlägt noch, meine Augen sehen noch. Aber das ist auch alles, was ich jetzt bin. Herz und Augen. Alles andere ist fort. Beim vorigen Blitzschlag habe ich aufgehört zu atmen.

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