Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
sagte Kupferkopf. Mit dem schwarzen Umriss gegen den strahlenden Sonnenaufgang, dem langen Silberhaar, das im Winde wehte, wirkte er wie eine mythische Gestalt. »Erzähle mir, was in dem Dorf geschehen war, als du es verlassen hast.«
»Was? Warum?« Tauchvogels Stimme klang so heiser, dass man sie nicht mehr als die seine erkannt hätte. »Was kann das denn ausmachen -«
Kupferkopf packte Tauchvogel grob am Kinn und stieß seinen Kopf hin und her. In seinen kalten Augen blitzte Ärger auf. »Weil ich es wissen will, darum.«
Er schubste ihn am Kinn zurück, und Tauchvogel keuchte, als die brennenden Wunden an den Armen über die Palmenmatte schrammten. Schwer atmend wälzte sich Tauchvogel auf die Seite und sagte:
»Schote webte eine neue Decke. Ein hübsches Ding aus vier verschieden gefärbten Quadraten. Er hatte einen starken Farbstoff aus Beerentang gemacht, der ein lebhaftes Rot ergibt, und Tollkirschen zugemischt -«
Kupferkopf fletschte die weißen Zähne. »Ich müsste dich töten. Ich weiß nicht, warum ich dich leben lasse.«
Tauchvogel seufzte. »Warum willst du denn wissen, was im Windeck-Dorf los war?«
Kupferkopf umfasste sein rechtes Knie mit gefalteten Händen und lehnte sich zurück. Hinter ihm kletterte die geschmolzene Kugel der Sonnenmutter langsam in den Wolkenübersäten azurblauen Himmel. »Als mein Läufer im Windeck-Dorf ankam, war Muschelweiß verschwunden.«
Hoffnung und Angst durchfuhren Tauchvogel. Kam sie, um nach ihm zu suchen? Er unterdrückte die Schauer, die ihm über den fiebrigen Leib liefen, und sagte nichts.
Die großen dunklen Augen von Kupferkopf verengten sich. »Hast du gewusst, dass sie sich wieder verheiratet? Dass sie einen zweiten Mann nimmt?«
»Was?«
Kupferkopf betrachtete Tauchvogels erschreckten Ausdruck und fuhr fort: »Deinem Sohn Eulenfalter ist es offenbar gelungen, nach Hause zu kommen. Er war nur leicht verwundet und hat deiner Frau mitgeteilt, du seist tot. Da hat sie dann sehr schnell gehandelt.«
»Schote hat schnell gehandelt«, verbesserte ihn Tauchvogel. Er starrte abwesend zum Dach, wo schräge Sonnenstrahlen vom Palmwedelgeflecht hinabfunkelten und kugelförmige Nusssäckchen im Winde schwankten. Muschelweiß nimmt einen zweiten Mann? Bei diesem Gedanken durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Von ihrem ersten Hochzeitstag an hatte Schote das unablässig verlangt. Und warum auch nicht? Der Ruf von Muschelweiß war ihres kleinen Clans einziger Besitz von Wert, das Einzige also, was der Windeck-Clan in Notzeiten wie dieser bei einem Handel zu bieten hatte.
Natürlich hatte Schote so schnell wie möglich ein neues Bündnis zustande gebracht. Das war praktisch, sogar notwendig. Aber trotzdem litt Tauchvogel darunter. Ihr gemeinsames Leben war ein Wunder an Herzlichkeit und Liebe gewesen.
Seit mehr als zweimal zehn Sommern hatten sie zusammen Raubzüge unternommen und gekämpft und ihren Clan verteidigt … und sich nachts in den Armen gelegen. Ach, wie wunderbar waren diese Zeiten gewesen! Fünf starke Söhne, einer nach dem andern - und dann war eine Tochter gekommen wie ein lebensspendender Frühlingsregen, ein Mädchen, so schön wie seine Mutter. Dann weitere drei Söhne, die am Leben blieben. Zwischendurch noch drei Töchter - drei Totgeburten. Sie hatten auch noch andere Kinder verloren, die meisten, bevor sie zwei Sommer alt waren. Doch trotz ihres Kummers und der gemeinsamen Sorge war ihnen das Leben so wundervoll, so großartig erschienen, als hätte jeder Geist auf Erden und jenseits des Himmels auf sie herabgelächelt. Dann aber kam das Unheil über sie; vier Söhne waren ertrunken, als eine Wasserhose ihr Einbaum-Kanu entzweiriss und die Teile ihrer Körper über das Meer verstreute. Der Vater von Muschelweiß war im Schlaf gestorben. Ein Unglück nach dem anderen hatte die Familie niedergedrückt. Doch als Muschelweiß gerade dabei war, sich zu erholen, fingen kaum einen Sommer später die Überfälle von Kupferkopf an. Nun waren nur noch Eulenfalter und Stacheljunge übrig geblieben. Dank den Geistern, dass wenigstens Eulenfalter überlebt hatte. Tauchvogel sandte den Blitzvögeln ein feierliches Dankgebet. Aber nun, nach zweimal zehn und fünf Sommern an seiner Seite, und ausschließlich an seiner Seite, würde Muschelweiß wieder heiraten.
Tauchvogel verdrehte seine gefesselten Hände und fühlte kaum die rauen Stellen, an denen sich die Seile eingeschnitten hatten. Meine arme Muschelweiß - sie würde pflichtgemäß alles
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