Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
lief. Er war so krank gewesen, wahrscheinlich tat es ihm gut.
Mondschnecke wartete, bis Rotalge die Schale auf dem Sand ausgegossen hatte und anfing, das lange Haar ihres Bruders zu kämmen, und sagte dann: »Rotalge, ich habe deine saubere Tunika in der Hütte von Muschelglanz gelassen. Geh dorthin und zieh dich bitte um. Ich möchte mit Teichläufer allein sprechen.«
»Aber Großmutter …«, wandte Rotalge ein, den Kamm noch in der Hand. »Da ist auch meine Mutter.
Ich -«
»Geh jetzt bitte. Du wirst deine Mutter eine halbe Zeithand lang aushalten können. Sag Muschelglanz, sie soll dir ihre Halskette aus Kreiselschneckenhäusern leihen, ich hätte es gesagt. Ich habe sie ihr geschenkt, und da kann sie die Kette ruhig hie und da mal ausleihen. Also geh jetzt!«
Rotalge senkte den Blick und legte den Kamm neben Teichläufer ab. Er tätschelte ihre Hand und lächelte sein reizendes Lächeln. »Es dauert ja nicht lange, Rotalge«, flüsterte er wie ein Verschwörer.
»Großmutter will mich nur über meine ehelichen … hm … Pflichten unterrichten.« Er blinzelte Mondschnecke zu, die ihren Mund verächtlich zusammenzog.
Die Augen von Rotalge wurden ganz groß, als sie das begriff. »Oh. Also dann auf Wiedersehen. Bis bald.« Sie rappelte sich auf und lief davon.
Teichläufer sah ihr lächelnd nach, als sie das Dorf durchquerte und sich um die Hütten schlängelte.
Mondschnecke fragte brummig: »Woher hast du gewusst, worüber ich mit dir sprechen wollte?«
Teichläufer unterdrückte sein Lächeln, nahm den Kamm und fuhr sich damit durch das nasse Haar.
»Also ich werde in weniger als zwei Zeithänden verheiratet sein, und da meine Mutter nicht dabei sein wird -«
»Sie wollte sehr, kann ich dir sagen. Aber der Mutwillen in ihrer Stimme machte mich stutzig, und ich habe ihr das Recht, dabei zu sein, abgesprochen. Ich musste sie aus der Hütte weisen, und ich brüllte, nur ich hätte das Recht, denn ich hätte dich aufgezogen. Wer weiß, was sie dir alles gesagt hätte. Wie ich sie kenne, hätte sie dich so erschreckt, dass du keine Kraft mehr zur Abwehr gehabt hättest.«
»Großmutter«, sagte Teichläufer. »Ich habe kaum die Kraft, allein aufzustehen, geschweige denn -«
»Also du stehst gar nicht auf! Jedenfalls ist das meine Meinung, und sicherlich ist sich Muschelweiß über deinen Zustand im Klaren und wird sich danach richten, und das heißt, dass du liegen bleibst. Ich weiß, du bist nie mit einer Frau zusammen gewesen. Du hast nur ein Mädchen zweimal anzugucken brauchen, da ist sie doch schreiend weggelaufen, aber -«
»Nicht jedes Mädchen, Großmutter«, widersprach er.
»- aber du weißt sicher so ungefähr, um was es geht.«
Teichläufer seufzte. »Erfahrung ist nicht alles. Ich habe gesehen, wie sich Hunde paaren, auch Wölfe, und -«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte Mondschnecke. Um Mut zu gewinnen, griff sie nach ihrem Stock, stand aber nicht auf. Sie stieß ihn vor sich auf den Boden und lehnte sich dagegen. Sie schaute auf ihren Enkel herab, der sie aus zusammengekniffenen rosafarbenen Augen ansah. »Hunde und Wölfe machen so etwas … Glaub mir. Muschelweiß wird sich etwas Feineres vorstellen. Verstehst du, was von dir erwartet wird, oder soll ich es noch näher beschreiben?«
Teichläufer wurde rot und senkte den Kopf. »Ich verstehe, Großmutter.«
»Gut. Frauen möchten zart behandelt werden. Sei nicht zu schnell. Sie hat gerade ihren Mann verloren, und wenn du sie bespringst wie ein keuchender Hund, dann kann es gut sein, dass sie dir den Speer in deine empfindlichste Stelle stößt, und das würde den Rest unserer Unterhaltung wohl sinnlos machen.
In vieler Hinsicht.«
»Ich würde sie nicht drängen, Großmutter«, sagte er abwehrend. »Ich liebe sie.«
Mondschnecke beäugte ihn streng. »So einfach ist das nicht mit der Liebe, Teichläufer, wenn ich auch glaube, dass es dir ernst damit ist. Aber du solltest wissen, dass Muschelweiß trotz deiner Gefühle sehr lange brauchen wird, um Gefühle für dich zu entwickeln. Es kann sogar sein, dass sie nie -«
»Doch. Sie wird mich lieben«, unterbrach er sie. »O ja, Großmutter, dafür kann ich sorgen, das verspreche ich dir. Wenn sie mich nur lässt.«
In ihren verkrümmten alten Fingern fühlte sich der Knotengriff des Stocks kühl an. Nach langem Gebrauch in vielen Sommern hatte ihr Griff ihn geglättet, und die Öle auf ihren Händen hatten das Kiefernholz dunkelbraun gefärbt, so dass die Maserung schön
Weitere Kostenlose Bücher