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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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solange wir fort sind.«
    »Also dann komm, wir haben noch einiges zu tun.« Spannerraupe deutete auf die Treppe, und Kriecher machte sich unwillig auf den Weg.
    Aber Spannerraupe folgte ihm nicht. Mit gesenktem Kopf blieb er neben Eisenholz stehen. Dann zog er ihn am Unterarm dicht zu sich heran. »Bitte sei hier verschwunden, wenn ich zurückkomme.« Eisenholz dachte an all die Kämpfe, in denen sie gemeinsam gefochten, an die Lagerfeuer, an denen sie zusammen gelacht hatten. Wenn die Ältesten der Ersten Menschen seine Gefangennahme anordneten - was sie bestimmt tun würden -, dann wäre es Spannerraupe, der ihn festnehmen müßte, und dabei würde einer von ihnen sterben.
    Eisenholz nickte. »Mache ich, alter Freund.«
    Spannerraupe sah ihn ein letztes Mal an, als wollte er sich Eisenholz' Gesichtszüge einprägen, dann ließ er ihn los und kletterte die Stufen hinauf.

    Blattwespe stand Wache wie jeden Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, in dem kleinen viereckigen Signalturm an der heiligen Südstraße. Der Turm war fünfzig Handbreit hoch und maß nur eine Körperlänge breit wie tief. Er war aus großen Sandsteinblöcken erbaut worden, mit Mauern,die sechs Handbreit dick waren. Vierzig Handbreit über dem Boden überschaute man auf einer oben eingebauten schmalen Wacholderholz-Plattform durch vier Fenster die weite Landschaft in allen Richtungen. Die heiligen Berge, die wie fahlblaue Geister über dem Horizont hingen, füllten das ganze Blickfeld aus.
    Blattwespe legte seinen mokassinbekleideten Fuß in das Fenster nach Süden. Eine Leiter ermöglichte den einzigen Zu- und Ausgang. Nachdem er heraufgekommen war, hatte er sie hochgezogen und in den Turm unter ihm hinabgleiten lassen; ihr Ende hing jetzt zwischen der erloschenen Glut in der Feuermulde und dem Holzstoß.
    Gähnend streckte Blattwespe sein spitzes Kinn in die morgendliche Brise, die um den Turm wehte. Sie kühlte sein dreieckiges Gesicht und zauste an seinen schwarzen Haaren, die über seinen abstehenden Ohren hingen. In der Ferne sah er den Leichenzug die Straße hinuntergehen.
    Heilige Götter, er sah sie befriedigt verschwinden. Vor dreiundzwanzig Sonnenkreisen war er im Norden, in den Dörfern der Grünen Tafelberge, geboren worden und erst im vorletzten Sommer nach Krallenstadt gezogen. Er konnte die Verrücktheit dieser Ersten Menschen überhaupt nicht verstehen. Erst sprangen sie einander an die Kehle, und im nächsten Augenblick drängten sie sich zusammen wie ein Rudel Wölfe, um über das Schicksal der Welt zu bestimmen. Erst heute morgen hatte Schlangenhaupt einen Läufer zum Mittelplatz geschickt, um die Gesegnete Kräuterblüte davon in Kenntnis zu setzen, daß die »unehelich gezeugte Tochter« seiner Mutter ausgestreckt in der Kiva der Ersten Menschen in Krallenstadt lag. Jeder wußte, was das bedeutete. Bevor der Tag zu Ende war, würde Nachtsonne abermals im Käfig eingesperrt sein, diesmal zusammen mit ihrem Liebhaber Eisenholz.
    Blattwespe schüttelte den Kopf. In seiner Familie, dem Bären-Clan, heiratete man aus Liebe, verband sich aus Lust, und schied voneinander, wenn es sein mußte, und das Leben ging weiter. Die Ersten Menschen heirateten aber offenbar aus Prestige, paarten sich, um Kinder zu kriegen, und behielten ihre Ehepartner, die sie haßten, ein Leben lang. Und damit wollten sie noch den Gemachten Menschen moralische Vorbilder sein Über diesen Unsinn konnte Blattwespe nur grinsen.
    Gestern hatte Trauertaube weitergesagt, daß Schlangenhaupt glaube, die junge Frau aus Schildkrötendorf sei seine Halbschwester. Gestern nacht, als Blattwespe auf den Mauern stehend Wache hielt, was er nur selten tat, waren dann die Gemachten Menschen durcheinandergelaufen wie Packratten und hatten in allen Zimmern verbreitet, Eisenholz habe die junge Frau aus Schildkrötendorf seine »Tochter« genannt. Da brauchte man kein Geistträumer zu sein, um zwei und zwei zusammenzuzählen.
    Durch das Nordfenster war ein Dunstschleier zu sehen, der sich über dem grünenden Hochland drehte. Der Windjunge war in den letzten Tagen unberechenbar gewesen, war spielerisch umhergehüpft oder hatte den Atem angehalten. Blattwespe betrachtete den Schleier, der spiralig höher und höher wirbelte. Er kniff die Augen zu, um die letzten Fetzchen noch zu verfolgen… und hörte das Geräusch von Mokassins auf Stein.
    Blattwespe griff sich Bogen und Köcher, nahm sie in den Schoß und lehnte sich aus dem Südfenster. Unten stand eine schöne Frau,

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