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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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meine Tochter aufzuschneiden. Die schrecklichen Schreie des Säuglings, den sie für tot gehalten hatte, kamen ihr wieder ins Gedächtnis. Meine einzige Tochter… Angst braute sich in ihr zusammen wie ein Gewitter in einer schwarzen Sturmwolke.
    Sie warf einen Blick auf Sängerling und zögerte. Die Augen des Jungen waren glasig geworden. Wird er stark genug sein?
    »Sängerling«, sagte sie, »ich werde jetzt um den Schaft herumschneiden. Du mußt da die Haut auseinanderziehen. Sie wird schlüpfrig und schwer zu fassen sein. Kannst du das machen?« »Ja, das - das kann ich.« Der Jüngling beugte sich vor und legte schon mal seine Hände um Maisfasers Gesicht.
    Düne kam näher, um Nachtsonne über die Schulter zu sehen. Er stand mit dem Rücken zum Feuer, und die Schatten vertieften seine Falten höhlenartig.
    »Mach den Schnitt so klein wie möglich«, riet Düne.
    »Ich weiß.«
    Nachtsonne führte die Obsidianschneide durch die Haut und den Muskel unter dem Backenknochen. Ein neuer Blutstrom, mit klarer Flüssigkeit durchmischt, ergoß sich aus dem Einschnitt. Sie folgte dem Schaft nach Gefühl, traf auf die Sehne und dann auf die Stelle, wo die Spitze in den Knochen eingedrungen war.
    Sängerling zog mit blutigen Fingern gehorsam die Wunde auseinander. Er biß die Zähne zusammen, und Schweiß überzog sein schmales Gesicht.
    Nachtsonne schaute Düne an. »Die Spitze steckt im Oberkiefer, oberhalb der Zähne. Sie ist aus Obsidian.«
    Düne nickte nachdenklich. »Es ist besser, wir brechen sie einfach ab.«
    Nachtsonne holte tief Luft, um die erstickende Klammer um ihre Brust zu lockern. »Auf diese Weise hinterlassen wir kein Loch im Knochen, und nichts Böses dringt dort ein. Wir können immer noch die Wange aufschneiden und den Eiter beseitigen, aber wenn sich der Knochen entzündet…« »Ich kenne viele Krieger, die heute am Leben sind, weil wir die Pfeilspitze im Knochen gelassen haben«, sagte Eisenholz, der näher getreten war, um die Wunde zu betrachten. »Soll ich sie abbrechen?«
    Nachtsonne schüttelte den Kopf. »Nein, das mache ich schon. Aber ich brauche euch beide, dich und Sängerling, damit ihr den Kopf stillhaltet.«
    »Ich stelle mich hinter dich, Sängerling«, sagte Eisenholz und legte seine muskulösen Arme um den jungen Mann. Seine Hände schlössen sich um Maisfasers Schädel, während Sängerling ihren Kiefer festhielt.
    Nachtsonne schob die Finger am Schaft hinab und drückte dabei Maisfasers Wange fest nach unten. Sie mußte den Schaft seitlich abbrechen, bündig mit dem Knochen.
    Es tut mir leid, meine Tochter. Nachtsonne bog den Schaft schnell zur Seite und fühlte das spröde Obsidian brechen. Vorsichtig zog sie den Schaft aus dem Einschnitt, so daß der scharfe Stein keinen Schaden mehr anrichten konnte.
    Sängerling suchte ungeschickt nach einem Lappen, um das Blut abzuwischen, aber Nachtsonne forderte: »Laß es bluten!«
    Er legte den Lappen ab und ließ sich auf die Bank fallen. »Warum?« fragte er schwach. »Es soll das Böse herausspülen, soviel wie möglich.«
    »Und dann wird sie wieder gesund?«
    »Der Schaft ist genau oberhalb der Spitze im Knochen abgebrochen. Aber wir müssen abwarten, Sängerling«, sagte Nachtsonne und betrachtete den Schaft.
    Maisfaser ächzte leise, hustete und wurde wieder still.
    Eisenholz bat: »Laß mich mal den Schaft sehen.«
    Nachtsonne gab ihm den Pfeil und starrte ins Gesicht ihrer Tochter; sie wollte sich jede Einzelheit dieses Gesichts einprägen. Wenn keine Entzündung eintritt und ihr Fleisch zerfrißt, dachte sie, dann wird sie am Leben bleiben.
    O meine Tochter, warum mußtest du jetzt zu mir kommen?
    Nachtsonne stellte sich neben Eisenholz. Er drehte den Rest des Schafts in seinen Händen hin und her. Sein schönes Gesicht war verzerrt, als fühlte er sich von Geistern gejagt.
    »Kennzeichen?« fragte sie.
    »Keine«, murmelte er. »Es sieht genauso aus wie der Pfeil, der Wolkentanz getötet hat.«

43. K APITEL
    Im Altarraum über der Kiva tappten Schritte heran. Mokassins auf fester Erde, weich. Eisenholz richtete sich auf und sah auf den fahlblauen Schimmer der Morgendämmerung, der über die Treppe fiel. Spannerraupe kam in Sicht. Er verbeugte sich vor den Thlatsinas an den Wänden. Sein schwarzroter Umhang hing in schmutzigen Falten um seine schlanke Gestalt, Schmutzstreifen liefen ihm übers Gesicht und seinen schwarzen Zopf. Er kam die Treppe herunter, aber als er Eisenholz sah, zögerte er. Verlegen fragte er: »Wie geht

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