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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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war Schwalbenschwanz drei Kopf größer als seine Mutter. Sein Vater mußte ein hochgewachsener Mann gewesen sein. »Guten Morgen«, grüßte Sängerling.
    Trauertaube gab keine Antwort, sie starrte ihn nur an. Schwalbenschwanz lächelte und sagte: »Guten Morgen, Sängerling. Ich hoffe, es geht dir gut.«
    »Ja, danke, Schwalbenschwanz«, erwiderte er und trat hinaus ins Sonnenlicht auf den Pfad, der vor den Gebäuden zum Abhang und hinab zur Zelle führte. Sängerling eilte hinunter.
    Die gestrigen Worte von Trauertaube hatten ihn in Verwirrung gestürzt, und die Gedanken ließen ihn nicht schlafen. Trotz der Erschöpfung durch den langen, qualvollen Marsch hatte er sich in seinen Decken herumgewälzt und sich einzureden versucht, daß sie log, aber er konnte eigentlich keinen Grund dafür finden. Was hätte sie durch diese Geschichte zu gewinnen, die sie ihm erzählt hatte? Oder wollte sie ihm nur in der Seele weh tun?
    Der sonnenbesprenkelte Pfad schlängelte sich hinab zum gurgelnden Fluß und der Zelle. Zwei Frauen mit großen Körben begegneten ihm und lächelten höflich, aber wachsam. Drei Kinder jagten gleich hinter ihnen her; flüsternd deuteten sie mit gekrümmten Fingern auf Sängerling.
    Sängerling nahm die linke Abzweigung vor dem Fluß und überquerte ihn auf den Trittsteinen, die Arme seitlich ausgestreckt, um die Balance zu halten. Kristallklares Wasser gurgelte und schäumte um seine Füße. Mit den Bäumen, den Beerenbüschen und dem Wasserfall war es hier so grün! Was für ein üppig gedeihender Ort! Im Vergleich zu dem braungelben Sandstein und den grimmigen Großen Kriegern von Anemonendorf war das hier eine neue Welt. Die Gerüche von Wasser und feuchter Erde umfingen Sängerling, während er hinunterschritt.
    Vier Krieger bewachten die Zelle, einer auf dem Dach und drei im Umkreis. Heuler stand ganz vorn, von den gefleckten Schatten einer riesigen Pappel umhüllt.
    Die Zelle, zum Teil in die Seite der Flußterrasse hineingebaut, hatte weder Fenster noch Türen. Ein Rundloch im Dach gewährte Einlaß, aber man brauchte eine Leiter, um in die Kammer zu kommen. Sängerling schaute sich um und entdeckte die Leiter zehn Schritte weiter, an einem Baum lehnend. Heuler spähte mit zusammengekniffenen Augen auf Sängerling, und seine häßlichen Gesichtsnarben zuckten. Sängerling sah ihn freundlich an. Er trug ein braunes Hemd mit Fransen am Saum. »Guten Morgen, Heuler. Mein Großvater hat mir erlaubt, mit den Gefangenen zu sprechen. Bitte, laß die Leiter hinunter.«
    Heuler knirschte mit den Zähnen, als zweifelte er an dieser Erlaubnis, aber als er Sängerling prüfend musterte, schien er zu dem Schluß zu kommen, daß es keine Rolle spielte.
    Eigentlich schön zu wissen, daß sich niemand von mir bedroht fühlt. Bei diesem Gedanken seufzte Sängerling auf.
    Heuler nickte einem der Krieger zu und gab einen scharfen Befehl auf Mogollon. Der Krieger sprang gehorsam auf, packte die Leiter und warf sie dem Mann auf dem Dach zu, der sie sogleich durch den Einlaß hinabließ. Als sie dort auf den Boden auftraf, erhob sich drinnen ein Gemurmel. Sängerling glaubte Eisenholz' tiefe Stimme herauszuhören und fühlte einen stechenden Schmerz: »Der einzige, den ich nicht aufgeben werde, ist Eisenholz.« Auf dem Marsch hatte er gesehen, wie sehr sich Nachtsonne und Eisenholz liebten, und er fragte sich, was wohl mit Nachtsonne geschehen würde, wenn Eisenholz … wenn er… Sängerling schluckte. Wenn er nicht einmal daran denken konnte, wie könnte er dabeistehen und zusehen, wenn es geschah?
    Der Posten beobachtete Sängerling mit verkniffenem Blick, aber Sängerling nahm keine Notiz davon. Seine feuchten Sandalen waren kaum zu hören, als er sich auf die Leiter zubewegte. Einen Augenblick blieb er mit klopfendem Herzen über dem Einlaßloch stehen und schaute hinab in das Dunkel unten; Schweißgeruch stieg zu ihm auf.
    Was würde er tun, wenn Nordlicht zugab, seine Mutter getötet zu haben? Wie konnte Sängerling seinen Großvater bitten, den Mörder seiner Tochter freizulassen? Wie konnte er selbst den Wunsch haben, das genau wissen zu wollen?
    Sängerling ergriff die Leiterstangen und trat auf die erste Sprosse.

    Eichelhäher nippte gelassen an seinem Stachelbeertee, als Trauertaube und ihr großer hagerer Sohn sich auf der anderen Seite des Feuers niederließen. Sie trugen beide frische hellbraune Gewänder, einfach, aber sauber. Sie sahen ausgeruht aus - und das war mehr, als er von sich selbst

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