Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Menschen aussah.
»Aber er muß hier sein«, flüsterte er. »Ich bin doch nicht den ganzen Weg umsonst gelaufen.« Zehn Handlängen vor der Tür hielt er an. Der angenehme Geruch von verbranntem altem Wacholder war in der Luft. Im Anemonendorf galt es als unhöflich, laut zu rufen oder sich durch Aufstampfen bemerkbar zu machen, also blieb er ruhig stehen und rang nach Luft. Nach einer Weile rief eine rauhe alte Stimme: »Bist du das?« Er lächelte erleichtert. »Ich bin Kreuzdorn vom Anemonen-« »Nein, das bist du nicht. Du hast keinen Namen mehr. Auch keinen Clan. Du bist nur noch du.« Ein buckliger alter Mann zog den ausgefransten Vorhang zurück und schaute ihn aus Augenschlitzen an. Der Heimatlose hatte ein gebräuntes zerfurchtes Gesicht; weißes Haar hing ihm in dünnen Strähnen auf die Schultern. Seine kleine Knollennase saß tief in den Falten wie ein Ei im Nest; er hatte buschige weiße Brauen. Über seinem zahnlosen Mund waren die Lippen eingefallen, aber seine Augen… seine Augen leuchteten, als lebte die Gesegnete Thlatsina-Sonne in ihm.
Der Heimatlose trippelte heraus, kratzte sich durch sein zerrissenes braunes Hemd hindurch an den Hüften und deutete auf die Bündel auf Kreuzdorns Rücken. »Welche sind für mich?« »Oh!« stieß Kreuzdorn verlegen hervor. »Diese beiden.« Er ließ sie von der Schulter gleiten und übergab sie. »Mein Clan hat seine kostbarste Habe beigesteuert, Ältester.«
Es klirrte in den Bündeln, als Düne sie sich über die knochige Schulter warf. Wortlos ging er einen Pfad hinunter, der nach Westen führte, parallel zur Canyon-Wand.
Mit gerunzelter Stirn nahm Kreuzdorn sein eigenes Bündel ab und verstaute es neben der Tür. Dann folgte er Düne.
Der alte Mann ging, bis der Pfad sich mit einem anderen vielbegangenen Pfad kreuzte. Dort setzte er sich in den weichen Sand, die Bündel vor sich, und lehnte sich an einen hohen Beifußstrauch. Kreuzdorn kniete sich neben ihn. Das Schwemmland schimmerte in der Ferne. Das silberne Band eines Gewässers zog mitten hindurch. Da Düne schwieg, wollte Kreuzdorn etwas sagen. »Schwarzer Tafelberg bat mich, dir seine herzlichsten -«
»Pst! Höre den himmlischen Musiker. Hörst du seine Musik?« Kreuzdorn schaute über den Beifuß und die roten Klippen. »Du meinst den Windjungen?« fragte er. »Ich höre -«
»Du hörst mit deinen Ohren.« Düne schüttelte den Kopf. »Hör mit dem Herzen!«
Kreuzdorn schlug die Beine übereinander und konzentrierte sich. Er hörte das Gezwitscher der Vögel, sah einen Erdkuckuck durch das Dickicht laufen und hörte einen Coyoten in der Ferne jaulen. »Die Stimme der Welt spricht zu mir, aber ich weiß nicht, was du meinst, wenn du «
»Such den Musiker nicht außerhalb. Er ist hier.« Düne klopfte sich auf die Brust.
»Ach so, gefühlsmäßig! O ja, ich fühle dauernd viele Dinge. Sehr stark. Tatsache ist -« Düne hob eine klauenartige Hand. »Sprich nicht! Hör zu!« Kreuzdorn biß sich auf die Lippen. Was für eine mißtönende Stimme der Älteste hatte - wie ein brüllender Bison in der Brunft. Kreuzdorn seufzte und versuchte, der Anweisung zu folgen. Er lauschte den Lauten in seinem Innern. Sein Herz schlug wie eine Trommel, Blut rauschte in seinen Ohren, und sein Atem ging zischend ein und aus - aber er wagte es nicht, den Heimatlosen zu fragen, ob er den »himmlischen Musiker« nun gefunden hätte - aus Angst, wieder zurechtgewiesen zu werden.
»Ah«, brummte Düne, als er aufstand.
Auch Kreuzdorn erhob sich. Eine ältere Frau kam den Pfad herunter und zog einen kleinen Jungen hinter sich her. Sie trug ein verblichenes rotes Kleid und hatte ihr weißes Haar zusammengeknotet. Ihre Nase war im Verhältnis zum Gesicht viel zu groß, sie ragte hervor wie ein krummer Daumen. Kreuzdorn beachtete sie kaum, sein Blick ging gleich zu dem kleinen Jungen; sein langes schwarzes Hemd war an mehreren Stellen geflickt, seine Mokassins hatten Löcher an den Zehen, und er sah dünn und bleich aus. Aber er hüpfte fröhlich neben der Frau herum, und sein kinnlanges schwarzes Haar schwang hin und her, als er eine Frage nach der anderen stellte. Die Frau beantwortete jede und lächelte dabei.
»Das sind sehr arme Leute«, sagte Kreuzdorn zu Düne. »Sind es Sklaven? Aber welcher Herr würde seinen Dienern gute Mokassins verweigern? Es sieht kaum « »Bei dem Geplapper in deinem Hirn ist's kein Wunder, daß du den himmlischen Musiker nicht hören kannst.«
Kreuzdorn verstummte.
Als die Frau
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