Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Cousine? Der alte Narr, er merkt nicht, daß sie ihn nie heiraten wird?« »Er liebt sie, Schlangenhaupt. Er liebt sie wirklich. Ich glaube, Federstein erinnert ihn an seine gestorbene Frau.«
»Federstein gehört zu den Ersten Menschen.« Schlangenhaupt strich ihr durch das schwarze Haar. »Kriecher ist weniger als ein Feuerhund.«
»Wie kannst du das sagen?« Das Gesicht von Trauertaube war wie eine Maske, so gut verbarg sie ihren Abscheu bei seiner Berührung. »Kriecher ist ein guter und aufrechter Mann. Du weißt nichts von ihm.«
»Ich weiß, daß du das glaubst. Deswegen erlaube ich dir, dich zu ihm zu legen. Ein kleines Geschenk von mir.« Außerdem schien die Affäre mit Kriecher ihren Haß auf Schlangenhaupt zu vermindern und sie fügsamer zu machen.
Schlangenhaupt nahm ihr das Geschirr aus der Hand und setzte es neben der Tür auf dem Boden ab. Die Tassen klapperten gegen die Schalen.
Trauertaube machte noch einen letzten tapferen Ausbruchsversuch. »Wer wird für dich wachen, Schlangenhaupt?« wandte sie ein und blickte durch die Tür hinaus. »Nordlicht und Eisenholz werden zurückkommen, und du wirst keine Ahnung haben, wann sie -« »Leg dich auf den Boden vor die Tür.« Trauertaube schloß kurz die Augen und gehorchte dann; auf dem kalten Stein legte sie sich auf den Rücken. Ihr rotes Kleid breitete sich auf dem weißen Boden aus.
Schlangenhaupt hob den Vorhang und machte ihn am Zapfen fest. Das Licht der Sterne flutete ins Zimmer, heller als der rote Schein aus der Feuerschale. Die Wände schimmerten in zinnernem Glanz. »Von hier aus«, sagte er und spähte durch die Tür über Krallenstadt, »kann ich den Stadtzugang selber sehen.«
Trauertaube stützte sich auf die Ellbogen. Ihr Gesicht, das an ein Backenhörnchen erinnerte, verhärtete sich. »Aber Schlangenhaupt, jeder, der heraufschaut, kann sehen, wie -«
»Ja.« Er zog sich das Hemd über den Kopf und warf es auf den Boden. Er legte sich auf sie und starrte in ihre flammenden Augen. »Heilige Gesetze zu durchbrechen, das mache ich am liebsten.« Er lachte leise und knabberte an ihrem Ohr. Als er ihr Hemd aufhob, kreischte der Papagei mit einer Stimme, die der von Trauertaube nicht unähnlich war: »Ich hasse dich! Ich hasse dich! Ich hasse dich!« Schlangenhaupt grinste den großen Vogel an und zwang mit seinen Knien die Beine von Trauertaube auseinander.
Z WEITER T AG
Mit bloßem Rücken lehne ich gegen eine nach Regen duftende Steinsäule, die Füße fest auf dem Boden eines verfallenen, verlassenen Hauses. Grauer Fels wölbt sich hoch über mir. Wolkenleute bevölkern den Himmel. Ich fühle ihre dahingleitenden Seelen - als wären auch Wolken in meinem Herzen lebendig.
Ein merkwürdiges Gefühl - diese Freiheit.
Mein Leben lang habe ich an eine Mauer zwischen innen und außen geglaubt. »Wirkliche« Dinge spielten sich nur innen ab. Ich allein verfügte über echte Wahrnehmung. Alles, was außen war, hatte nur eine schattenhafte Wirklichkeit. Andere Menschen, die Sterne und Tiere schienen auf eine nebelhafte Art lebendig, aber nicht wirklich.
Diese Mauer war ein Schoß, der meinem Stolz Nahrung gab und mir erlaubte, den Kopf abzuwenden. Um Verantwortungen und Verwandtschaften zu entfliehen.
Über das endlose Auf und Ab der Höhenzüge blickend, die mich im weiten Rund umgeben, sehe ich eine Landschaft ohne Mauern. Ein Ort äußerster Freiheit.
Doch wenn ich zu Boden blicke, sehe ich sorgsam geglättete Steine. Was war sie doch für ein tüchtiger Steinmetz, die Frau, die dieses Haus erbaute. Sie behaute die grauen Steine, bis sie so groß waren wie ihre Handflächen, und rieb sie dann so lange gegeneinander, bis sie so fugenlos aufeinanderpaßten, daß kein Mörtel mehr nötig war, um die Mauern standfest zu machen. Sie benutzte den runden Sockel der Säule als Rückwand und baute darum herum, so daß drei schöne Räume entstanden. Einer für ihre Familie, einer als Lager und einer wahrscheinlich für alt gewordene Eltern oder Großeltern. Sie schuf Mauern außen.
Ich schaffe Mauern innen.
Mit meinem nackten Zeh drehe ich einen der herabgefallenen Steine um und frage mich… Die Steine auf den Hügeln - schieben sie sich nachts herab, um sich die versklavten Steine anzusehen? Heulen sie, so wie Coyoten heulen, wenn sie Hunde in Käfigen sehen?
Die ungebundenen Wolkenleute heulen sie mich an?
Der Wind winselt in meinen Ohren und umhüllt mein Gesicht mit dem süßen Duft der neuen Blumen und Gräser.
Ich lächle und
Weitere Kostenlose Bücher