Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
nicht viel besser aus, auch sie beschmutzt, verkratzt und hohläugig. Die Rußflecken von der Brandnacht im Lanzenblattdorf waren noch in ihrer Kleidung.
Sie hatten die trostlose beifußbewachsene Ebene im Süden vom Canyon des Rechten Wegs überquert und folgten einem gewundenen Pfad nach Süden, zwischen Kuppen, die mit Wacholder und Kiefern bewachsen waren. Sandhügel gaben Beifuß-Kolonien festen Halt, die ihrerseits kreisförmig gewachsenem Reisgras Platz machten, das höher war als das frische Rispen- und Viehgras. Die plattgedrückten Kuppen mit ihren hellbraunen, weißen und gelben Böden waren mit Sandstein zugedeckt.
Westlich lag die Buckelkuppe; genau im Süden; über das zerklüftete Terrain hinweg sahen sie die hochragende Silhouette bewaldeter Berge im blauen Dunst, und das war die Grenze zwischen dem Volk des Rechten Wegs und den Mogollon. Distels Weg führte durch eine Lücke in diesen kiefernbewachsenen Höhen und dann südlich in die Berge, die Eichelhähers Krieger überwachten. Das feurige Antlitz von Vater Sonne verhielt gerade auf dem westlichen Horizont und warf lange Schatten über das wellige Land. Seine strahlenden Bänder berührten und schmolzen die zarten Fetzchen der Wolkenleute, die über das Blau hinwegzogen. Ein bernsteinfarbener Glanz überflutete die welligen Beifußhügel.
Der Anblick schien so friedlich. Wie konnte nur solch eine Ruhe über einem Land liegen, wo die Stürme in den Herzen Körper und Seele peinigten? Distel biß sich auf die Lippen. Sie brauchte nur in sich selbst hineinzusehen, um die Quelle der Gemeinheit zu entdecken.
Sie hörte Zikade stolpern. War sie wieder gefallen? Distel ging langsamer und schaute zurück. Die dicken Beine von Zikade zitterten, und sie schwankte hin und her. Ihr grünes Baumwollkleid war schweißgetränkt und lag nun eng an ihrem pummeligen Körper an. Kinnlanges schwarzes Haar hing ihr in Strähnen um das runde Gesicht. Die Augen waren glasig, und mit offenem Mund rang sie nach Luft; sie wirkte, als würde sie im nächsten Moment zusammenbrechen.
Distel war gelaufen wie von fliegenden Hexen auf rohledernen Schilden verfolgt. Aber sie konnte auch den ganzen Tag laufen. Ihr Leben lang hatte sie schwere Steine gehandhabt, und ihrer zarten Erscheinung zum Trotz war ihr Körper drahtig und mit Muskeln bepackt. Zikade hatte sich andererseits in ihrem kurzen Leben mit Kindern beschäftigt und Mais gemahlen. Mehrmals war das Mädchen heute gestürzt, und Distel war gezwungen gewesen, sich umzudrehen und ihr gut zuzureden.
Zikade schaute auf und sah, daß Distel wartete. »Distel«, brachte sie keuchend heraus, »es ist schon spät. Könnten wir nicht ein Lager aufschlagen?« Zikade blieb breitbeinig stehen. »Bitte!« Distel wischte sich den Schweiß aus ihrem feingeschnittenen Gesicht. »Wenn wir noch ein bißchen weiter laufen, Zikade, dann kämen wir bis -«
»Nein! Bitte. Meine Beine fühlen sich an wie gekochte Grashalme.«
Distel schaute sehnsüchtig nach Süden, nickte aber dann und ging zurück. Sie packte Zikade freundschaftlich am Arm. »Es tut mir leid. Du hast so gut durchgehalten.« Sie deutete auf eine niedrige Hügelkette, die durch die Gipfel der Kiefern und Wacholder gerade noch sichtbar war. »Wir machen da unser Lager, auf einem dieser Hügel, wo wir den Pfad im Auge behalten können.« Zikade nickte. »Ich danke dir. Ich könnte bestimmt keinen Schritt mehr weitergehen.« Distel legte einen Arm um Zikades heiße, verschwitzte Schultern und stützte sie hügelaufwärts. Zikades Knie knickten dauernd ein. »Du warst sehr tapfer, Zikade. Nicht einmal Maisfaser« - sie zuckte zusammen und sprach etwas sanfter weiter - »nicht einmal Maisfaser hätte sich heute so gut gehalten. Ich bin sehr stolz auf dich.«
Diese Worte schienen Zikade wohlzutun. Sie tätschelte Distels Hand.
Herabgestürzte Sandsteinplatten lagen auf den Abhängen unterhalb der gebrochenen Bergkämme durcheinander. Im schwindenden Schein des Sonnenuntergangs fiel fahlblaues Licht aus verschiedenen Winkeln auf die glatten Felswände und schuf dort ein schillerndes Mosaik aus Purpur und Lavendel.
»Ich bin für diesen Hügel da«, sagte Zikade und zeigte auf den, der am nächsten lag. Distel lächelte. »Ja, der scheint mir auch geeignet.«
Auf dem schmalen Wildpfad, der nach oben führte, kletterte Zikade verbissen aufwärts, einen Fuß vor den anderen setzend, offenbar bemüht, den Gipfel zu erreichen, bevor sie zusammenbrach. Wildzwiebelschößlinge
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