Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
umsehen, lauschen, rutschen…
Schwärze verschluckte das Dämmerlicht, als Distel sich zwischen den Steinen und Kakteen auf dem Abhang vorarbeitete. Sie glitt zum Rand des Sandsteins und sah, daß die oberste Schicht unterhöhlt war; der ganze Hang war darunter zusammengebrochen und hatte eckige Sandsteinbrocken mit in die Tiefe gerissen.
Dieses enge Tal war wie eine Schale von niedrigen Hügeln eingefaßt und bot ein vollkommenes Versteck. Wenn einer nicht gerade direkt oberhalb des Lagers stand, konnte er weder die Feuer sehen noch die leisen Stimmen der Krieger vernehmen.
Mit Zehen und Händen schob sie sich über diesen Erdrutsch, zwischen Felsen hindurch, die so hoch waren wie kleine Häuser. Der Gestank von Packrattenkot und -urin war überwältigend. Als Distel in den Schatten von zwei geneigten Felsbrocken rutschte, hörte sie kleine Füßchen trippeln, und winzige Augen blickten sie aus einem Felsspalt an. Distel lächelte die Packratte an und versuchte, zu Atem zu kommen.
Ein Mann ging vorbei, nur zwei Körperlängen entfernt.
Er rollte seine Decken unten am Erdrutsch aus und ging zum Feuer zurück. Distel kroch vorwärts. Fünf Männer standen nun um das Feuer herum und unterhielten sich leise. Ein Teekessel stand am Rand der Glut. Schwarz-weiße Baumwoll-Umhänge wölbten sich über ihren breiten Schultern. Einer hatte sich einen Türkisring durch seine Lippe gepflockt.
Sie atmete ganz flach; so nahe war sie Kriegern der Feuerhunde noch nie gewesen. Der größte der Männer gähnte und schüttete den Rest seiner Tasse ins Feuer; die Flammen zischten und spuckten. Er hatte ein häßliches Gesicht mit vielen Narben. Er sagte: »Einen schönen Abend noch. Ich werde jetzt mal -«
»Moment mal, Heuler«, sagte der Krieger des Rechtes Wegs. »Ich mache mir immer noch Sorgen. Aber das muß reibungslos klappen, sonst -«
»Was soll denn schiefgehen? Hmm? Oder hast du uns nicht alles gesagt?«
Distel runzelte die Stirn. Beide sprachen die Sprache des Volks des Rechten Wegs.
»Natürlich habe ich euch alles gesagt. Wenn wir das zuwege bringen, dann gewinnen wir beide.« »Ich bin müde, Fichtenzapfen«, sagte Heuler. »War ein langer Tag. Wir reden morgen.« »Uns läuft die Zeit davon. Die Leiche des Häuptlings ist fast fertig. Und soviel Zeit hätten wir nicht mal gehabt, wenn der alte Düne nicht erst noch nach seinem Bündel geschickt hätte. Und wir müssen heute abend noch einiges besprechen.«
Distel rutschte noch etwas weiter vor, um besser sehen zu können. Der stämmige kleine Krieger des Rechten Wegs stand mit dem Rücken zu ihr, sie sah sein Gesicht nicht, aber die Stimme… sie kannte diese Stimme. Nein, nein, das ist doch unmöglich.
Heuler stemmte sich die Hände in die Hüften und der Saum seines Umhangs wippte auf und ab. »Also, worum geht's?« fragte er heiser.
Fichtenzapfen goß den Rest seines Tees auf den Boden. »Ich weiß nicht, ob wir genügend Leute haben. Vielleicht sollten wir noch etwas warten. Wenn wir weitere zwanzig Krieger zusammenziehen, dann -«
»Dann haben wir achtzig Krieger - viel zu viele, um schnell und sauber zuzuschlagen. Was ist denn los mit dir? Du hast doch gesagt, dein Freund Schlangenhaupt bringt nur fünf Krieger mit?« »Ja, aber wenn -«
»Hör auf, dir Sorgen zu machen. Eichelhäher weiß schon, was er tut.«
Eichelhäher? Distel rutschte noch näher. Aber ist er hier - oder noch bei den Gila-Monster-Klippen? »Da bin ich mir nicht so sicher, Heuler.«
Heuler machte eine ärgerliche Handbewegung. »Selbst wenn Schlangenhaupt mit fünfzig Kriegern käme - die Überraschung ist auf unserer Seite. Außerdem, hast du nicht gesagt, der neue Kriegshäuptling wie war noch sein Name?«
»Spannerraupe«, murmelte Fichtenzapfen.
»Ja, Spannerraupe. Hast du ihn nicht einen schwächlichen Narren genannt? Der beim Geräusch von Mottenflügeln aufspringt und alles macht, was man ihm sagt? Wie könnte so einer den Befehlen der neuen Gesegneten Sonne trotzen?«
Fichtenzapfen wandte sich zum Feuer, und Distel erkannte das runde Gesicht, die Stupsnase und die kleinen Augen. Sie hatte ihn an dem Tag gesehen, als er zusammen mit Verbirgt-Seinen-Schwanz nach Lanzenblattdorf gelaufen war, um die Nachricht von Krähenbarts Krankheit zu überbringen. Er war einer von Eisenholz' verläßlichsten Stellvertretern - was ist geschehen?
Fichtenzapfen schaute düster in seine leere Tasse und sagte: »Ich habe niemals gesagt, daß Spannerraupe ein Narr ist. Ich habe nur
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