Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
wuchsen zwischen den Steinen. Zikade pflückte einige und kaute darauf, während sie sich zwischen den Felsbrocken und schrägstehenden Platten hindurchzwängten. In dem Augenblick, als sie oben auf dem Hügel ankamen, nahm Distel so etwas wie eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr.
»Heilige Götter!« Mit einem Sprung von hinten brachte sie Zikade zu Boden.
»Was -«
Distel hielt ihr den Mund mit solcher Kraft zu, daß Zikade aufstöhnte und sich wand wie ein Kaninchen in der Falle.
»Pst!« zischte Distel. »Kein Laut! Und rühr dich nicht!«
Zikade spähte wortlos und verängstigt auf Distel, die gebannt auf das geschützte Tal starrte, das wie eine große Schale mitten zwischen den Hügeln lag. Gedämpfte Stimmen drangen aus dem Tal. Distel ließ auch Zikade hinunterschauen, gab sie frei und kroch hinter einen braunen Felsen. Zikade tat es ihr nach und reckte den Hals.
»Wer ist das?« fragte Zikade flüsternd.
Dutzende von Kriegern zogen durch das Tal, Bündel, Köcher und Bogen auf dem Rücken. Einige trugen Schilde. Auf ein Signal hin blieben sie stehen, teilten sich in Gruppen auf, die Beifußbüsche ausrissen, Wacholderzweige brachen und ihre Bündel abstreiften. Ein junger Mann lief sofort zu einem hohen Punkt im Osten - zweifellos zu einem Ausguck.
Distel flüsterte: »Feuerhunde. Achte auf den kurzen Haarschnitt und die knielangen Umhänge, oben schwarz, unten weiß.« Sie zeigte auf einen Mann, der allein südlich vom Lager stand. »Schau dir den flachgewebten Yucca-Hut an, den er trägt. Keine Frage, das sind Mogollon.«
Zikade erbleichte. Jetzt, da sie am Boden lag, bebte ihr ganzer Körper vor Erschöpfung. »Aber - aber was machen sie hier? So nahe an der heiligen Straße nach Süden?«
»Keine Ahnung, aber wir sollten schnellstens fort von hier. Komm, wir gehen zurück -« »O Distel, bitte«, flehte Zikade sie an. »Laß mich wenigstens für einen Augenblick hier liegen. Ich brauche einen Schluck Wasser.«
Distel sah auf die Krieger und verzog das Gesicht. Die Männer rollten ihre Decken aus, nahmen Kochtöpfe aus ihren Bündeln und machten Feuer. Sie sah, wie ein Krieger durch das Lager marschierte und auf hohe Punkte wies; Posten wurden ausgeschickt, um Wache zu halten. »Nur einen Augenblick, Zikade. Aber dann müssen wir gehen.« Distel biß sich auf die Lippen; stirnrunzelnd überlegte sie. Das war eine disziplinierte Einheit, nicht einfach eine Gruppe, die beschlossen hatte, auf dem Gebiet des Rechten Wegs Überfälle durchzuführen.
Zikade streifte ihr Bündel ab, nahm den wassergefüllten Beutel heraus und trank in großen Schlucken. Ihr Arm zitterte so heftig, daß sie Wasser auf ihr Kleid verschüttete. Sie seufzte. »Ach, das hab ich gebraucht.«
Distel band ihren eigenen Wassersack vom Gürtel los und nahm drei Schlucke, genug, um ihren Mund zu befeuchten und ihren Magen zu besänftigen. Sie behielt die Krieger im Auge. Allmählich schwand das Licht; schwarze Dunstschleier senkten sich auf die Hügel. Die Umhänge der Krieger verschmolzen mit der Nacht und waren fast unsichtbar.
Distel wollte noch einen Schluck nehmen und hielt kurz davor inne, der Beutel baumelte vor ihrem Kinn. Ein Mann mit einem langen roten Hemd marschierte durchs Lager. Er war klein und stämmig, trug einen großen Korallenanhänger um den Hals, und sein langes schwarzes Haar hing ihm als Zopf auf dem Rücken.
»Das ist ja…« Distels Augen wurden Schlitze. »Das ist ein Krieger des Rechten Wegs.« Zikade fuhr herum. »Was? Wo?«
»Da, in dem roten Kriegerhemd.«
Zikade wischte sich mit dem Handrücken Wasser vom Mund und zog einen Beutel mit getrocknetem Hirschfleisch aus ihrem Bündel. »Was hätte denn einer unserer Krieger in einem Lager der Feuerhunde zu suchen?« fragte sie Distel verwirrt.
Distel knirschte mit den Zähnen und dachte nach. Der Krieger des Rechten Wegs marschierte mitten durchs Lager. Selbst von ihrem Standort aus sah sie seine Anspannung. Am Fuß des Hügels verschwand er hinter einem Haufen von Felsblöcken. In einen anderen abgeschirmten Lagerteil? Distel zählte die Krieger im stillen. Vierundvierzig. Aber bei der Dunkelheit und den vielen Felsspalten hatte sie wahrscheinlich manche übersehen.
Zikades Angst war nun größer als ihre Erschöpfung. »Ich glaube, ich kann jetzt weitergehen.« Distel hielt sie am Arm zurück. »Beweg dich nicht. Bei den vielen Wachtposten können wir erst weggehen, wenn es völlig dunkel geworden ist.«
Zikades Augen wurden ganz groß.
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