Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Heuler, das häßlich vernarbte Gesicht verzerrt, als er sich durch die Krieger drängte. Er winkte barsch. »Komm, Weib. Er will dich jetzt sehen. Aber dich allein. Er hat befohlen, daß Fichtenzapfen und ich und all die andern auf Abstand bleiben.«
»Spricht er«
»Er spricht deine Sprache besser als du. Jetzt komm, mach schnell!«
Distel erhob sich und straffte die schmalen Schultern. Wortlos streichelte sie beruhigend über Zikades Haar, ging an Heuler vorbei in den Feuerschein. Die Krieger murmelten, und einige grinsten lüstern. Fichtenzapfen folgte ihr, wollte an Heuler vorbei, um besser sehen zu können, aber unnachgiebige Hände hielten ihn auf. Zikade betrachtete sein rotes Hemd, und solche Hoffnung erhellte ihr junges Gesicht, daß er am liebsten zu ihr gegangen wäre, um sie zu trösten. Sie sah ihn an, als brächte er ihr Erlösung; aber er konnte nichts tun. Noch nicht.
Eichelhäher stand da, und sein langer schwarzweißer Umhang fiel um ihn wie in gemeißelten Falten. Sein graues Haar hing ihm bündig bis zu den Schultern; es schimmerte orangefarben im Feuerschein. Fichtenzapfen hätte nicht sagen können, was den Mann so mächtig erscheinen ließ. Eichelhäher trug keinen Schmuck, war wie ein einfacher Krieger gekleidet und hatte nicht einmal einen Dolch im Gürtel. Er stand da allein, bleich, schweigend, von den riesigen Felsen hinter ihm scheinbar erdrückt - und doch konnte Fichtenzapfen keinen Blick von ihm wenden.
Distel lief auf ihn zu, nicht wie ein Feind, sondern wie ein Bittsteller. Sie kniete vor Eichelhäher mit gesenktem Kopf, den ihr glänzendes schwarzes Haar umrahmte, nieder und sagte: »Gesegneter Häuptling, ich bin geehrt, daß ich mit dir sprechen darf. Wer hätte nicht von der Großartigkeit des Mogollon-Volks gehört und sich nicht über die Geschichten von der Größe seines Häuptlings Eichelhäher verwundert? Überall spricht man von euren Siegen und von der Barmherzigkeit, die du den Erschöpften und Verwundeten erwiesen hast, selbst wenn sie zu denen gehörten, die ihr als Feinde betrachtet habt.«
Fichtenzapfen hob bewundernd seine Brauen. Sie hatte sich schnell und ohne Furcht auf gefährliches Terrain begeben, die Feindseligkeiten zwischen ihren Völkern durchaus zugegeben und dann Eichelhähers bekannt mitfühlendes Herz als Waffe gegen ihn benutzt.
Eichelhäher hatte das durchschaut. Er lächelte schwach. »Wie kann eine Frau des Rechten Wegs von diesen Dingen wissen?«
Er sprach ruhig, mit trägem Tonfall, aber es war die Trägheit eines schnurrenden Löwen, der dem einen schnellen Tod verheißt, der ihn ärgert.
Distel hob den Kopf und schaute mit ihren großen schönen Augen zu ihm auf. »Die Händler sprechen davon - und von anderem. Bitte, ich weiß, daß sich viel Haß zwischen unseren Völkern aufgestaut hat. Aber ich bin hergekommen, auf eigene Gefahr, um dir eine Nachricht zu bringen, die dein Herz ganz sicher mit Freude und Furcht erfüllen wird. Verzeih mir bitte, für eine Weile, die Verbrechen meines Volks. Ich verspreche dir, daß -«
Eichelhäher unterbrach sie. »Genug«, sagte er sanft. Er trat vor und hielt ihr die Hand hin. Seine Krieger verstummten, standen sprachlos da. Die Spannung knisterte.
Fichtenzapfen schaute in ihre verblüfften Gesichter. Sogar er wußte, daß Eichelhäher so gut wie nie einem Fremden die Freundschaftshand entgegenstreckte - und bestimmt nicht einer Frau vom Volk des Rechten Wegs. Distel legte ihre feinen Finger in seine Hand, und Eichelhäher zog sie hoch. Sie reichte ihm kaum bis zu den Schultern. Als sie zu ihm aufschaute, stand er reglos vor ihr und sah ihr in die Augen. Er führte sie vom Feuer weg; sie setzten sich beide auf einen flachen Felsblock am Fuß der größten stehenden Steinplatte. Der Stein war sechzig Handbreiten hoch, und aus einer Spalte oben wuchs ein verkrüppelter Wacholder hervor.
Ein seltsames Paar - der hochgewachsene, grauhaarige Älteste, schlank und würdig, neben einer zartgliedrigen schwarzhaarigen Schönheit in einem verschmutzten gelben Kleid.
Da die beiden jetzt außerhalb seiner Hörweite standen, konnte Fichtenzapfen nur die Arme vor der Brust kreuzen und abwarten, ob Distel am Leben bleiben oder sterben würde.
Die Feuer im Tal warfen schwache Schatten verschiedener Schwärze auf die niedrigen Hänge. Hier und da tanzte das Licht über Kochbeutel, die an Dreifüßen hingen, über windbewegtes Gras und Krieger, die sich in ihre Decken eingewickelt hatten. Schnarchlaute
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