Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
sie mit etwas kämpfte, das sie nicht zu benennen wagte. »Nach dem Massaker von Lanzenblattdorf kann ich dich verstehen, Fichtenzapfen, und ich hasse ihn genauso wie du.« Sie kratzte eine Schmutzkruste von ihrem gelben Rock, und nun klang ihre Stimme tiefer und ernster. »Der Tod von Schlangenhaupt wird das Beste sein, was unserem Volk geschehen kann.« »Davon bin ich überzeugt.«
Sie schaute auf; ihre Wangenmuskeln zuckten. »Und deshalb hast du diesen Plan gefaßt, Schlangenhaupt hierher zu locken, in seinen Tod?«
»So ist es.«
»Und wie hast du es fertiggebracht, auch Eichelhäher hierherzubringen? Er hätte ja auch seine Krieger schicken können, um Schlangenhaupt zu töten. Er hätte nicht selbst zu kommen brauchen.« »Nein, das wäre nicht nötig gewesen. Aber Schlangenhaupt hat verlangt, Eichelhäher zu treffen, und ihm dafür eine Belohnung angeboten, die Eichelhäher nicht ablehnen konnte.« Wenn Fichtenzapfen nur daran dachte, wurde ihm übel. Er schluckte den sauren Geschmack in seiner Kehle hinunter und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die lodernden Feuer im Tal drunten. »Was für eine Belohnung?«
»Schlangenhaupt hat ihm versprochen, wenn er selbst käme, dann könnte er Krähenbarts Leichnam haben, um ihn im Triumph nach Hause zu den Mogollon zu bringen. Kannst du dir vorstellen, was Eichelhäher damit an Ansehen gewinnt? Er kann vorgeben, er habe den Leichnam persönlich erbeutet und kann den verwesenden Krähenbart von einem Dorf zum andern schleppen lassen, so daß jeder Feuerhund, der einen Mond lang gelaufen ist, auf unseren Häuptling spucken kann. Wie konnte Eichelhäher dem widerstehen?
Natürlich wäre es ihm noch lieber gewesen, Krähenbarts Seele wäre noch in seinem Körper gewesen, denn dann hätte Eichelhäher dafür sorgen können, daß Krähenbart niemals das Jenseits erreicht, sondern als heimatloses Gespenst auf der Erde umherirren müßte.«
Distel zog die Brauen zusammen. »Krähenbarts Seele ist nicht mehr in seinem Körper?« »Nein«, sagte Fichtenzapfen und verzog das Gesicht. »Schlangenhaupt hatte es zwar Eichelhäher versprochen, aber offenbar hat Düne dem toten Häuptling den Schädel eingeschlagen, um die Seele hinauszulassen. Die Nachricht hat Eichelhäher sehr enttäuscht, und er ist immer noch nicht darüber hinweggekommen. Auch das ein Grund, weshalb er Schlangenhaupt nicht traut. Mir übrigens auch nicht.«
Distel rieb sich über die Stirn. »Diese Sache wird immer schlimmer.«
»Ja, ich weiß.
Distel sah ihn an. »Das war nicht als Anschuldigung gemeint. Ich bete aus ganzem Herzen, daß Eichelhäher Schlangenhaupt tötet. Sag mir, was ich tun soll, um dir zu helfen, und ich werde es tun. Ich werde Eichelhäher helfen. Ich werde jedem helfen, der Krallenstadt von diesem Abschaum befreit.«
Der Windjunge flitzte durch das Tal, und Distels Haar flatterte über ihr erzürntes Gesicht. Fichtenzapfen hätte gar zu gern die seidigen Stränge berührt. Sie hatte ihm das nagende Schuldgefühl genommen, und tiefe Dankbarkeit bewegte seine Seele. »Ich danke dir, Distel. Du weißt ja nicht, was mir deine Worte bedeuten. Aber …« Er machte eine Pause und starrte finster auf das Gras zu seinen Füßen. »Du weißt ja sicher, wenn Schlangenhaupt Maisfaser in seiner Gewalt hat, dann könnte er Eichelhäher ein Schnippchen schlagen. Er kann damit drohen, sie zu töten.«
»Hör auf!« Der heisere Schrei einer Frau schnitt durch die Nacht. »Laß mich los!«
Fichtenzapfen fuhr herum. Einer der Wachtposten schritt hangabwärts und stieß eine junge Frau vor sich her. Sie war untersetzt, ihr Gesicht rundlich, und strähniges schwarzes Haar hing ihr bis zum Kinn. Sie mochte fünfzehn oder sechzehn Sommer alt sein. Wie ein Kaninchen starrte sie erschreckt mit großen braunen Augen auf die Ansammlung von Kriegern.
»O nein«, murmelte Distel.
»Wer ist das?«
»Zikade. Maisfasers beste Freundin. Ich habe ihr gesagt, sie sollte sich an der Straße verstecken, bis ich zurückkäme. Die Wachen haben sie anscheinend gesehen.«
Als Zikade Distel erblickte, rief sie: »Distel, hilf mir!«
Distel trat vor und sagte: »Bitte, sie gehört zu mir! Sie tut ja nichts Böses. Bitte, tut ihr nicht weh!« Der hochgewachsene Krieger stieß Zikade neben dem Feuer auf die Knie. Sie blieb am Boden, verschränkte die Hände ineinander und starrte mit aufgerissenen Augen auf den Kreis der Männer. Ihr Mund zitterte, sie hatte Angst.
»Laßt sie jetzt in Ruhe!« sagte
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