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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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stützte beide Hände neben dem Tunnel zur Unterwelt auf und blickte in das Sipapu hinab. Dort unten waberte es dunkel, und Wellenlinien breiteten sich aus wie auf einem See ohne Ufer. Im Zentrum dieser Schwärze gewann eine kristallene Säule Gestalt, und sie wuchs in die Höhe, glitzernd wie tausend Diamanten, während sie emporschnellte, Kristall auf Kristall bildend.
    Glühende Angst durchfuhr Kreuzdorn. »Sie… sie kommt zu schnell. Gleich wird sie mich durchbohren.«
    Die Finsternis, die die Kristallsäule umgab, wechselte von Pechschwarz zu Tiefblau. Dann, als wäre ein unsichtbarer Lichtstrahl in die Röhre eingefallen, verwandelte sich das Blau in ein herrliches Türkis, und eine blaugrüne Höhle entstand. Lichter blitzten. Tausende von Sternschnuppen regneten herab wie weiße Feuerpunkte. Im Herzen der Höhle sprühte es Funken aus einer Flamme, und die kristallene Säule fing Feuer. Die Lohe geriet außer Kontrolle und verschlang die Höhle, in deren Mitte jetzt das Gesicht einer schönen jungen Frau erschien, die weinte, das lange schwarze Haar fiel ihr über die Schulter hinab… und außerdem eine schroffe Bergspitze, in das Licht der Sterne gehüllt. »Oh!« rief Kreuzdorn aus. »Helft mir! Ich - ich falle. Ich falle hinein.«
    Eine sanfte Stimme sagte: Du gehst dorthin, wo die Welt geboren wird, Kreuzdorn. Laß dich einfach los! Laß dich fallen!
    Die goldene Zeremonienkammer fing an, sich zu drehen, und Kreuzdorn tauchte kopfüber durch atemberaubende, flammenerleuchtete Himmel hinab und fiel und fiel…

    Schwarzer Tafelberg stand neben Schneeberg und beobachtete Kreuzdorn, der in der Mitte der Plaza sitzend eine Trommel machte. Der Regen, der seit zwei Tagen gefallen war, hatte den .Schnee geschmolzen, und nun funkelte der Sand wieder sauber. Wasserpfützen schimmerten auf den Terrassenfeldern, die vom Fuß der Sandsteinklippen ausgingen. Rauhe glanzlose Stellen, melden- und grasbewachsen, rahmten die Felder ein. Rinnsale hatten in den Mörtel der Steinmauern des Dorfs eingeschnitten, was ihnen ein verwittertes Aussehen gab. Man würde die Häuser neu verputzen müssen.
    Verstreut um Kreuzdorn herum lagen Lederflicken, Steinwerkzeuge, schmale Streifen aus Sehnen und roher Schlachthaut und eine einzelne vollkommene Truthahnfeder.
    Der Jüngling hatte seit drei Tagen kein Wort gesprochen. Seit er aus der Kiva aufgetaucht war. Die Leute gingen auf der Plaza umher und genossen die warme Sonne; sie webten Decken auf großen Webstühlen, mahlten Mais und flickten ihre Sachen. Im Vorbeigehen klopften sie Kreuzdorn auf Kopf oder Schulter und sprachen ihm leise gut zu.
    Kreuzdorn lächelte nur als Antwort. Er blieb stumm. Sein schmales Gesicht glühte, als strahlte er von innen heraus. Niemand drängte ihn; jeder wußte, er würde zu ihnen zurückkehren, wenn es für ihn an der Zeit war, denn noch verweilte ein Teil seiner Seele in der Ersten Unterwelt, wandelte unter den Ahnen und betrachtete die fremdartigen Pflanzen und Tiere, die dort wohnten.
    Schwarzer Tafelberg kreuzte die Arme über der Brust. Sein schwarzes Hemd hing ihm bis aufs Knie und sah auf seinem zarten Körper sehr groß aus. Im Verlauf vieler langer Jahreszeiten waren seine Muskeln zu sehnendurchsetztem Fleisch geschrumpft, und nur noch ein Sack gebrechlicher Knochen war übriggeblieben. Heute hatte er sein langes graues Haar lose hängen lassen, und es umwehte sein faltiges Gesicht.
    Schneeberg murmelte: »Es geht ihm doch bald wieder gut?«
    »Natürlich.«
    In ihren dunklen Augen zeigte sich Sorge. Sie war nun fünfunddreißig Sommer alt, und erste Silberfäden durchzogen ihr schwarzes Haar, und erste Falten hatten sich in ihre Stirn gegraben. Eine kurze, spitze Nase überragte dünne Lippen. Heute trug sie ein rot-schwarzes Kleid. »Hat er dir etwas gesagt?« fragte sie besorgt. »Hat er erzählt, was er in der Ersten Unterwelt gesehen hat?« »Es wird dir ziemlich wirr vorkommen.«
    »Aber ich möchte es wissen. Wenn du's mir sagen kannst, hilft mir das vielleicht, ihn besser zu verstehen. Mir war er immer … ein Rätsel. Aber er war auch meine größte Freude. Ich mache mir Sorgen, Schwarzer Tafelberg.«
    Sein Blick schweifte über die Zwillingsstümpfe, die sich über dem Tal erhoben, die steinernen Körper der Götter, die ewig Wache hielten. Er hatte sich oft gefragt, was ihre Seelen in den Himmelswelten taten. Schnitzten sie Bogen? Erzählten sie von ihren Heldentaten? Gingen sie auf die Jagd? Oder tanzten sie nur

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