Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
ich weiß leider nur allzu gut, was ein Mann in meinem Alter noch vertragen kann. Nein, nein, meine Liebe, die Zeiten, als ich noch bei einer Frau liegen konnte, sind lange vorbei. Die Glieder werden im Alter kraftlos. Und jenes bestimmte Glied ist nur noch dazu bestimmt, das nächtliche Wasser abzulassen.«
Muschelkamm tätschelte seine Schulter und richtete sich auf. »Bei Okeus! Weißt du, Ältester, ich wünschte, du hättest ein paar Mal zehn Blätterblüten weniger gesehen. Ich möchte wetten, wir beide würden ein gutes Paar abgeben.« Sie machte eine Pause. »Du bist doch nicht vom Grünstein-Clan, oder?«
»Nein, nicht Grünstein, weder jetzt noch jemals.« Er blickte auf. »Denkst du immer noch ans Fortlaufen, um diesem ganzen Clangeschäft aus dem Weg zu gehen? Ich erinnere mich, wie du mich am ersten Tag mit einiger Sehnsucht angesehen hast. Du könntest immer noch gehen. Vielleicht noch die Sonnwendfeiern abwarten und dann verschwinden.«
»Dafür ist es zu spät«, antwortete sie traurig.
»Ach ja, ich vergaß. Die Fremdartigkeit bei den Susquehannocks gefiel dir nicht.« Er wärmte sein Gesicht in der Sonne. »Wie lange ist sie her, diese Reise nach Norden?«
»Seither habe ich die Blätter zehnmal und siebenmal kommen sehen.«
»Ist die Erinnerung noch frisch?«
»O ja«. Sie schloss die Augen und lächelte. »Ich sehe alles vor mir, als wäre es gestern gewesen.«
Er grinste sie an. »Wie gefiel dir die Zeremonie ›Weißer Hund‹?«
Sie verzog das Gesicht. »Sie war recht lächerlich. Denk doch, ein starkes Volk wie die Andaste müssen einen kleinen weißen Hund töten und ihn verbrennen, um dem Gott eine Botschaft zu senden.
Wie würdest du dich als Okeus fühlen, wenn das Volk dir einen Hund als Botschafter schickt? Es ist…
es ist eine Beleidigung.«
»Und es dauert tagelang.«
Sie nickte. »Vielleicht haben sie nichts anderes zu tun, wenn sie nur in ihren Langhäusern sitzen, und um sie herum ist nichts als Schnee.«
»Es ist die Mitte des Winters. Was kann man von dem Land dort oben erwarten?« Er machte eine Pause. »Also, wenn du die Opferung eines kleinen weißen Hundes für lächerlich hältst - was würdest du denn schicken?«
»Einen Menschen natürlich.« Muschelkamm zuckte die Achseln. »Gibt man sich nicht deswegen im Haus der Toten so viel Mühe mit unseren Vorfahren? Im Gegensatz zu den Andaste können wir für uns selbst sprechen.«
»Und die Grünmais-Zeremonie? Ist die so anders als unsere?«
»Ja, das ist sie, Ältester.« Sie hob einen Finger, um ihren Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Die dummen Andaste tanzen bei jeder Zeremonie denselben Tanz. Immer wieder den Federtanz. Worum es auch geht - Winter, Frühling, Maisreife, Ernte oder Herbst - immer und immer wieder denselben Tanz. So gelangweilt wie bei dem Ah-do'-weh war ich nie zuvor in meinem Leben. Eine eintönige Rede nach der anderen. Und die Masken! Falsche Gesichter, buschige Gesichter hopsen herum wie die Ungeheuer.« Sie schüttelte den Kopf. »Da sind wir doch viel gescheiter. Die Geister kommen und leben im Innern der Wächtersäulen. Wir laden sie nicht ein, in unsere Körper zu kommen.« Plötzlich verlegen blickte sie ihn an.
»Nein, Muschelkamm, ich bin von keinem anderen Geist besessen als von meinem eigenen, und ich muss sagen, ich habe mehr als genug mit ihm zu tun.« Er lächelte zur Sonne hinauf. »Es ist merkwürdig, dass die Menschen, so sehr ich auch protestiere, darauf beharren, dass ein Mensch den Wunsch haben kann, ein Zauberer zu sein. Lieber würde ich mir den rechten Arm abhacken, als mir von der Macht so etwas einzuhandeln.«
Muschelkamm spielte mit der Ecke ihres Federumhangs. »Wenn du zurückgehen und irgendetwas anderes machen könntest - was würdest du tun, Ältester?«
Er zog nachdenklich die Brauen zusammen. »Oh, ich würde alles anders machen. Vorausgesetzt, ich könnte zurückgehen, wissend, was ich jetzt weiß, um mit mir selbst zurate zu gehen. Das meinst du doch, nicht wahr? Denn schließlich sind es vor allem Leidenschaft und Unerfahrenheit, die uns Fehler machen lassen.« Er zuckte die Achseln. »Und wie ist es mit dir, Muschelkamm?«
In der Tiefe ihrer dunklen Augen sah er einen großen Schmerz. »Wenn ich etwas anders machen könnte, dann wäre ich gern auf die Welt gekommen wie du, Ältester.«
»Wie ich?«
»Ja, ich möchte wie du sein. Wieviel besser ist es, dein Leben gelebt zu haben als meines.« Und damit wandte sie sich ab und ging mit
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