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Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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tun. Denn eine Missetat darf nicht ungesühnt bleiben.«
    »Aber, Ältester, wir verehren Okeus, und er ist ein launenhafter Gott.«
    Jaguar schnaubte verächtlich. »Ja, ich weiß. Okeus wird verehrt, und Ohona weicht aus der Erinnerung wie der Nebel von gestern. Hast du dies jemals bedacht, Sonnenmuschel? Was sagt es uns über die Menschen, dass sie den Gott verehren, der Chaos und Leid bringt, und den Gott des Friedens und guten Willens vergessen?«
    »Aber, Ältester, Ohona brauchen wir nicht zu besänftigen, weil er gut ist. Er tut uns nichts Böses, Okeus aber wohl.«
    »Also?«
    »Da also Okeus der Gefährliche ist, stimmst du ihn freundlich durch Taten und Opfergaben, damit er dich nicht ins Unglück stürzt.«
    »Möwenscheiße! Kann man denn noch einfältiger sein?«
    »Ältester? Ich … ich verstehe dich nicht.«
    »Also, dann denk mal nach, du junges Ding. Betrachte es aus der Sicht von Okeus. Es spielt also keine Rolle, was er macht, nicht wahr? Wenn er einen furchtbaren Sturm zusammenbraut, dann leiden die Menschen darunter, und sie bringen ihm Opfergaben dar in der Hoffnung, dass er es nicht wieder tut.
    Also sendet er ihnen noch einen Sturm, und dann laufen sie umher und legen ihm doppelt so viele Opfer zu Füßen. Wenn es so ist und wenn du Okeus wärst, was würdest du dann tun?«
    Sonnenmuschel antwortete, ohne zu zögern: »Ihnen noch einen Sturm schicken.«
    »Und nun stell dir vor, was sich Ohona dabei denkt. Er lässt die Sonne scheinen, er verhilft den Menschen zu einer guten Ernte, trotz Okeus und seinen Machenschaften. Aber wem bauen diese blöden Menschen einen Tempel?«
    »Okeus.«
    »Richtig. Okeus. Da ist es doch ein Wunder, dass uns Ohona noch weiter seine Gunst gewährt, nicht wahr?«
    »Ja, Ältester. Aber … es ist doch sein Wesen, oder nicht? Er muss doch in jedem Fall wohlwollend und segensreich sein?«
    »So ist es. Aber jetzt denk weiter. Woher kamen Okeus und Ohona?«
    »Erste Frau hat sie geboren, nachdem sie vom Weltenbaum gefallen war.«
    »Stimmt. Sie waren Zwillinge. Was sagt uns das über Okeus und sein Wesen?«
    »Dass auch er tun muss, was seine Natur ihm befiehlt.«
    »Aha. Und welche Bedeutung haben dann all die Tempel, die ihm errichtet wurden?«
    Sonnenmuschel verharrte einen Augenblick mit gesenktem Kopf. »Ich verstehe. Deswegen hast du die beiden Schreine auf deiner Insel. Deswegen hast du gesagt, ich sei noch nicht reif für eine Antwort.«
    Sie machte eine Pause. »Aber, Ältester, warum hast du an jenem Tag Okeus etwas zu essen gebracht?
    Warum hast du ihm überhaupt einen Schrein gebaut, wenn er dauernd gegen uns arbeitet?«
    Jaguar wedelte mit seiner Hand in die Nacht. »Weil die Erste Frau in ihrer unendlichen Weisheit begriffen hat, dass die Welt, wenn sie nur gut wäre, welken und sterben würde. So wie Ohona uns nicht im Stich gelassen hat, ganz gleich, wie wir ihn wegen seines schurkischen Bruders auch vernachlässigen mögen. Immer noch bringt er uns die Sonne nach dem Sturm. Das Gleiche gilt für Okeus. Wie sehr er uns auch leiden lässt, es ist nicht nur schlecht. Es macht uns stärker, es hält die Welt am Leben. Dafür ehre ich ihn, unabhängig davon, wie sehr er mir zuwider ist.«
    Die Augen von Sonnenmuschel verengten sich; sie hob das Gesicht und blickte auf die kahlen Zweige, die sich über ihr hin- und herbewegten. »Ich verstehe nicht immer, was du sagst, Ältester, aber ich will darüber nachdenken.«
    »Ja, ich weiß, das wirst du tun. Du bist ein nachdenklicher Mensch. Anders als dein Freund Wilder Fuchs wirst du …«
    Ein Schatten näherte sich den Palisaden. Sonnenmuschel bewegte sich lautlos und stellte sich mit erhobener Keule vor Jaguar.
    »Nein!«, schrie jemand keuchend. »Ich ergebe mich. Bitte … ich bin keine Gefahr für euch.«
    Als er die kratzige Stimme hörte, legte Jaguar eine Hand auf Sonnenmuschels Schulter. »Ich glaube, es droht keine Gefahr. Wer kommt da?«
    Eine alte Frau löste sich aus der Dunkelheit. »Ältester«, rief sie, »darf ich mit dir sprechen?«
    »Kenne ich dich?«
    »Ja, von früher. Aber es ist zwei Lebenszeiten her. Ja, zwei Lebenszeiten. Jetzt können deine Augen mich kaum mehr erkennen.«
    »Und wer warst du, vor zwei Lebenszeiten?«
    »Du lerntest mich kennen als … aber das ist jetzt nicht wichtig. Die Frau von damals ist tot. Es gibt keine Erinnerung mehr an ihre Blütezeit. Diese Gedanken tun weh. So viel Leid vor so langer Zeit.«
    »Du redest unverständlich.«
    »O nein, Ältester, meine

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