Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
den Kürbisbrei einer ganzen Schale ganz allein aufessen.«
»Warte mal …« - Neuntöter hob eine Hand - »… ich bringe dich nicht nach …«
»O doch! Wenn du mich nicht nach Flache Perle bringst, dann verfluche ich dich vor all deinen Kriegern. Glaubst du, dir würde noch einer folgen?«
Neuntöter erbleichte. »Aber du hast gesagt…«
»Deine Krieger haben nicht gehört, was ich gesagt habe.« Jaguar wischte sich die Hände an den Schenkeln ab und blickte auf den dampfenden Maisbrei. »Außerdem finden die Leute es aufregend, einen Zauberer bei sich zu haben. Ich möchte bezweifeln, dass sie dir glaubten, wenn du sie belehren wolltest. Mit anderen Worten: Ich glaube, dass du mich nach Flache Perle bringst. Oder bist du tatsächlich anderer Meinung?«
Neuntöter starrte ihn verärgert an; Jaguar schien etwas verlegen, als er auf den Topf deutete und bat:
»Könntest du mir wohl den Brei reichen?«
Jaguar zog sich die Decke fest um die Schultern und schlenderte hinaus in die Nacht. Sonnenmuschel folgte ihm schweigend.
Er seufzte erleichtert, als er die Palisaden und zugleich diese bedrückende Menschenmenge hinter sich gelassen hatte. Auch die Anwesenheit von Okeus hatte ihm nicht behagt. Die Statue war nicht besonders gut geschnitzt, und ihr spöttisches Grinsen war ihm auf die Nerven gegangen. Mehr als einmal hatte er im letzten Augenblick das Verlangen unterdrückt, einen Knochen darauf zu werfen.
Diese einfältigen Dörfler wären vor lauter Entsetzen sicher aus der Haut gefahren. Nur eines hätte ihn noch schneller kopfüber ins Feuer befördert: die Mitteilung, er sei die Frucht einer Blutschande.
Er hatte natürlich schon früher, wenn er in der rechten Stimmung war, verschiedene Sachen auf seine eigene Okeus-Statue geschleudert und den Gott verhöhnt, und nie war ihm irgendetwas Schreckliches geschehen. Aber aus welchem Grund nur ärgerte ihn die Okeus-Besessenheit der Leute so sehr? War es tatsächlich nur die Ungerechtigkeit, dass man Ohona bei den vielen Ritualen einfach vergaß?
»Vielleicht bekommen wir alle nur das, was wir verdienen?«
»Ältester?« Sonnenmuschel hielt sich hinter ihm wie ein Schatten.
»Es ist nichts. Nur das Gemurmel eines quengeligen alten Mannes.«
Das Licht des Mondviertels über ihnen warf einen schwachen Schein auf die letzte der niedrigen Wolken, die auf das Meer hinaustrieb. Ein paar Sterne funkelten trotzig durch die dunstige Luft. Von den dunklen Feldern, die das Dorf umgaben, kam kein Laut. Die überreifen Maisstängel, Bohnen und Kürbisranken schimmerten schwach im weißen Licht.
Jaguar stieß dampfenden Atem aus und sah ihn vor seinen Augen emporsteigen. Es war noch kälter geworden, Frost drohte. Am Morgen, wenn sich die kalte Luft über das wärmere Wasser wälzte, würde sich der Nebel heben.
Im Dorf hinter sich hörten sie anschwellende und abschwellende Stimmen im Gewirr der Gespräche.
Er schüttelte den Kopf. Unter Menschen zu sein … es rieb an seiner Seele wie Sand auf weichem Holz.
Die langen Monde im Exil hatten ihn innerlich verändert, in der Nähe von Menschen fühlte er sich wie krank. Er wollte nur wieder ins Gleichgewicht kommen und seine Gedanken ordnen, nichts weiter.
Schon leise Schritte hinter ihm störten ihn.
Jaguar unterdrückte den plötzlichen Drang, sich an Sonnenmuschel zu wenden und sie anzuknurren.
Er war selbst schuld daran, dass sie bei ihm war; diese Bürde würde er so lange tragen müssen, bis diese Angelegenheit bereinigt war.
»Wir haben heute gute Arbeit geleistet«, bemerkte Jaguar, um sein Gewissen zu beschwichtigen.
Sonnenmuschel schwieg einen Augenblick lang und fragte dann: »Warum hast du den Kampf verhindert, Ältester? Was hätte es dir ausgemacht, wenn Schwarzer Dorn Neuntöter und seine Krieger ausgelöscht hätte? Die sind nicht von deinem Volk.«
»Ich habe es verhindert, Mädchen, weil es Wahnsinn war, ziellos tobende Leidenschaft. Hätte Schwarzer Dorn Neuntöter und seine Krieger getötet - es wäre großer Schaden entstanden. Vergiss nicht, meine kleine Freundin: Wenn ein Pfeil einmal abgeschossen worden ist, kannst du ihn nicht mehr zurückrufen, gleichgültig, wie verzweifelt du auch seiner Bahn durch den Himmel folgst.« Er runzelte die Stirn und sehnte sich nach der Totenstille der Felder. »Und wir müssen den Fall untersuchen. Wurde Rote Schlinge etwa ermordet, um diesen Krieg auszulösen?
Wenn wir die Pläne des Mörders zu vereiteln suchen, dann wollen wir es mit allen Mitteln
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