Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
und zog sie unter ihren Hirschfellen hervor. Rauch von Hickoryholz kräuselte sich von den glimmenden Resten in den Feuergruben zur Decke hinauf und schimmerte im Sternenlicht, das durch die Rauchlöcher fiel, bevor er abzog in die Nacht. Sie ordnete die Felldecken so an, dass sie ihre schnellen Bewegungen mit der Keule nicht behindern würden. Der hölzerne Griff lag kühl in ihrer Hand. Wahrscheinlich ist es nichts. Die rauchgeschwängerte Luft stach ihr in die Lungen.
Ein hoher Schatten bewegte sich anmutig durch die Mitte des Langhauses. Als er näher kam, roch sie den Rauch von heiligem Tabak und von brennendem Holz.
»Riesenbrüller«, flüsterte Wilder Fuchs, »ich bin's. Ich muss mit Sonnenmuschel sprechen.«
Riesenbrüller erwiderte: »Dein Vater hat gesagt…«
»Er hat gesagt, du sollst auf den Zauberer aufpassen, nicht auf mich. Ich brauche deine Erlaubnis nicht, Riesenbrüller, ich teile es dir mit, da du hier der Wächter bist.«
Wilder Fuchs huschte lautlos an Riesenbrüller vorbei und kniete sich neben Sonnenmuschels Lager nieder.
Sonnenmuschel setzte sich behutsam auf, um Jaguar nicht zu wecken, und legte die Keule beiseite. Im schwachen Licht konnte sie die Prellung in Wilder Fuchs' Gesicht erkennen. »Was ist geschehen?«, flüsterte sie und tastete über seine Wange.
Wilder Fuchs hielt ihre Hand mit beiden Händen fest. »Mein Vater … war sehr aufgebracht.« Mit den Daumen liebkoste er ihre Finger. »Ich sagte, ich sei der Meinung, es wäre das Beste für uns alle, wenn ich einfach fortginge.«
Sonnenmuschel konnte nicht sprechen. Sie beklagte sich innerlich darüber, dass er nach allem, was geschehen war, nach allem, was sie durchgemacht hatte, um ihm zu helfen, einfach fliehen wollte - und andererseits flüsterte eine Stimme in ihrem Herzen: Flieh nur … aber mit mir!
Sie nahm sich zusammen. »Wir haben darüber gesprochen, Wilder Fuchs, in jener Nacht am Ufer des Flusses. Und du hast gesagt, wir müssten …«
»Ich weiß, ich weiß. Aber ich habe meine Meinung geändert.« Er packte ihre Hand jetzt so fest, dass es wehtat. »Sonnenmuschel, jeder hält mich für schuldig! Man wird mich töten.«
»Hör auf!«, befahl sie und riss ihre Hand los. Es dauerte keinen Herzschlag lang, da war die tiefe Verzweiflung auf seinem schönen Gesicht dem Ausdruck des erschrockenen Staunens gewichen. Er saß vor ihr, die Finger immer noch fest um etwas geschlossen, was einmal ihre Hand gewesen war.
Sonnenmuschel flüsterte: »Du bist doch sonst so mutig. Was ist denn in dich gefahren?«
»Sonnenmuschel, ich … ich glaube, mein Vater stellt sich gegen mich.« Sein Mund stand offen, sein Kinn zitterte.
»Was? Wieso denn?«
»Ich habe ihn belauscht. Er sagte, Rote Schlinge sei eine dumme Gans gewesen, dass sie an einem Mann wie mir Interesse gezeigt hätte, sie hätte schlauer sein müssen.« Er schluckte heftig. »Es war der Ton, in dem er sprach, der mich beunruhigte.«
»Es beweist gar nichts, Wilder Fuchs. Er ist deinetwegen besorgt, das weißt du. Sein Sohn ist in Schwierigkeiten. Wenn Menschen beunruhigt sind und nach einem Ausweg suchen, dann sagen sie eben dumme Sachen.«
Er spielte mit den Schnüren an seinen Mokassins. »Ja, ja, ich weiß, aber …«. Er machte eine lange Pause. »Alle glauben, ich hätte es getan, Sonnenmuschel. Selbst Jaguar. Du hast ihn doch heute Nachmittag gehört. Also, bitte, du musst etwas für mich tun. Ich kann es nicht selbst tun. Ich habe etwas verloren, als ich in Flache Perle war, oben am Hang, wo man auf den Austernsteg hinunterblicken kann. Wenn du im Dorf bist, könntest du …«. Er blickte sich um, blickte hinter Sonnenmuschel - und erhob sich hastig.
»Nein, sie kann nicht.«
Sonnenmuschel fuhr herum.
Jaguar saß aufrecht auf seinem Lager, zog sich eine Decke über die knochigen Schultern und fragte:
»Was machst du hier?«
»Ich wollte mit Sonnenmuschel sprechen, Ältester.«
Kleine Kröte fuhr hoch und weckte Hinkender Zeh. Riesenbrüller trat vor, die Keule in der Hand, um zu sehen, was vor sich ging.
Jaguar machte eine besänftigende Handbewegung. Leise, um niemanden zu wecken, sagte er: »Die Gerüchte über meine Hexerei sind maßlos übertrieben, Riesenbrüller. Ich versichere dir, ich bin nicht so mächtig, wie meine Feinde dir einreden wollen. Geh bitte auf deinen Posten zurück. Dies hier betrifft dich nicht.«
Riesenbrüller blickte auf Wilder Fuchs, und als der junge Mann nickte, kehrte der Häuptling auf seinen Platz an der
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