Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
Übrigens: Wo ist Wilder Fuchs heute Morgen?«
Schwarzer Dorn griff in eine Tasche an seiner Seite und zog eine Tonpfeife hervor. Aus einem Rindengefäß schüttete er Tabak in den Pfeifenkopf, den er mit einem brennenden Zweig aus dem Feuer entzündete. Er stieß eine blaue Rauchwolke aus und tief ausatmend blickte er Jaguar in die Augen. »Ich habe ihn zu einem der abgelegenen Häuser hinter den Feldern geschickt. Seine Anwesenheit dort schien mir gestern Abend für unsere gegenseitigen Beziehungen angebrachter.
Warum sollten wir einer Schnappschildkröte die Finger vor die Nase halten?«
»Eine kluge Entscheidung«, sagte Jaguar und verstand plötzlich, warum der Junge gestern Abend noch einmal heimlich zu Sonnenmuschel geschlichen war. »Ich halte es jedoch für besser, wenn du ihn ab sofort hier behältst, innerhalb der Palisaden, und zwar dauernd.«
»Ist das wirklich nötig?«
»Hat er Rote Schlinge umgebracht?«
»Nein, natürlich nicht. Das weißt du.«
»Dann sollte er hier sein, Weroanzi, begleitet von einem Krieger, sodass ihn alle sehen können.«
Schwarzer Dorn sog heftig an seiner Pfeife und blickte ihn nachdenklich an. »Du hast einen Grund dafür, nicht wahr? Du führst wieder irgendetwas im Schilde.«
»Natürlich. Ein Unschuldiger läuft nicht davon, denn er hat nichts zu verbergen. Und wenn du mir erlaubst, deine eigenen Worte zu gebrauchen: Wenn du einer Schnappschildkröte die Finger vor die Nase hältst, dann geschehen manchmal aufregende Dinge.«
»Was denn? Dass dir die Finger abgebissen werden?«
»Das geschieht nur, wenn du nicht schnell genug reagierst. Deswegen muss Wilder Fuchs dauernd bewacht werden. Von einem bewaffneten Krieger, der ihn überallhin begleitet, selbst in die Felder, wenn er sich erleichtern muss. Da er unter Bewachung steht, kann ich ihn auf Anfrage jederzeit vorführen, und das wird einige Leute beschwichtigen, die misstrauisch sind und immer noch glauben, dass er der Mörder ist.«
»Warst du schon immer so schlau?« Schwarzer Dorn grinste; einer seiner Schneidezähne war abgebrochen.
»Nein, Weroanzi, die meiste Zeit meines Lebens habe ich mich immer wieder auf die eine oder andere Art und Weise blamiert. Gib mir dein Wort, dass Wilder Fuchs von nun an dauernd in der Nähe sein wird.«
»Also gut. Er wird ab sofort bewacht. Sollte jemand versuchen, ihn anzugreifen, gebe ich dir Nachricht.«
»Und lass mich wissen, wer es war. Das ist noch wichtiger. Wir lassen den Köder baumeln, und dadurch kommen wir dahinter, wer die Schnappschildkröte ist. Und das wiederum führt uns zu dem Mörder.«
»Wie du willst.«
Die alte Motte betrat das Haus; mehrere jüngere Frauen folgten ihr, und jede trug ein hölzernes Schneidebrett, mit Speisen beladen. Die alte Frau wich geschickt Jaguars Blicken aus. Etwas an ihr kam ihm bekannt vor, aber das Alter und die furchtbare Narbe hatten ihre Züge entstellt. Die jungen Frauen stellten runde Töpfe an den Rand des Feuers, um sie zu erhitzen, und legten Brennholz nach.
Jaguar stopfte seine eigene Pfeife und rauchte zufrieden vor sich hin.
Die Sklavinnen reichten ihm einen Holzteller mit Kürbisbrei und eine Schale mit Maisbrei und zogen sich dann an ihr kleines Feuer an der Tür zurück.
»Die alte Frau dort«, begann Jaguar, als er seine Pfeife zurücklegte und den Kürbisbrei mit den Fingern aus der Schale herausholte. »War sie schon immer bei dir?«
»Sie gehörte ursprünglich meinem Bruder. Drachenbein hatte sie sich vor vielen Blätterblüten vom Mamanatowick geholt. Sie war damals eine Schönheit. Heute ahnt das bei den ausgeschlagenen Zähnen und der Brandnarbe kein Mensch mehr.«
Jaguars Herz tat einen Satz und wurde von Eiseskälte erfasst. Vom Mamanatowick? Heiliger Ohona, das war unmöglich! »Und die Verbrennungen in ihrem Gesicht?«
»Ihr Mann war der Bruder des Mamanatowick. Drachenbein nahm sie beide gleichzeitig gefangen.
Wir haben Kiefernspäne genommen, um ihn zu verbrennen. Während er noch in Flammen stand, riss sie sich los und rannte selbst ins Feuer, um ihn ein letztes Mal zu umarmen. Drachenbein war so beeindruckt von dieser Treue, dass er sie am Leben ließ, aber dieser schreckliche Schicksalsschlag hat sie zerbrochen. Seit damals ist sie auch geistig gestört.«
»Arme Frau«, flüsterte Jaguar, und seine Stimme klang wie aus großer Ferne.
»Einige sind stärker als andere.« Schwarzer Dorn zuckte die Achseln. »Aber hüte dich vor ihrem Geschwätz. Motte erzählt gern die
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