Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels
vertrauen.«
»Ja, Weroanzi.«
»Gut. Du hast also Neuntöter meine Botschaft übermittelt. Was sagte er?«
»Er sagte, er würde sie an Jagender Falke weiterleiten, Wort für Wort. Und das hat er getan.«
»Ich verstehe. Woher weißt du das, obwohl du es nicht mit eigenen Ohren hörtest?«
»Es war Neuntöter. Wie dein eigener Kriegshäuptling hält auch er mit unbequemen Wahrheiten nicht hinter dem Berg.«
Das Lächeln auf Maisjägers Gesicht gefror. »Du nimmst dir viel heraus, Amselflügel. Gefährlich für einen Mann, der gerade erst versagte. Ich war der Meinung, dass ein Kriegshäuptling sich etwas einfallen ließe, um mit Tatkraft seine Pflicht zu erfüllen.«
»Wenn der Weroanzi mir erlaubt, meinen Bericht zu beenden, wird er vielleicht feststellen, dass Einfallsreichtum durchaus zu den Fähigkeiten seines Kriegshäuptlings gehört.« Amselflügel wurde unruhig. Die Sprache wurde immer formeller, der Ton immer schärfer.
Reize ihn nicht, sonst lässt er dich rösten!
Er lächelte, um die Spannung zu lösen. »Hör mich bitte an, Weroanzi. Wir wussten, dass Neuntöter uns Späher auf die Fersen setzen würde, um sicher zu sein, dass wir das Land tatsächlich verließen.
Wir liefen wie die Kaninchen, aber eben nur weit genug, um seinen Argwohn zu besänftigen. Dann schlichen Doppelknochen und ich durch den Wald zurück.«
»Aha.« Zum ersten Mal zeigte Maisjäger lebhaftes Interesse.
»Wir krochen nahe an Flache Perle heran und sahen, wie die Leiche von Rote Schlinge durch die Palisaden getragen wurde. Sie hing wie ein toter Hirsch an einer Stange.«
»Was?« Zum ersten Mal war Maisjäger verblüfft.
»Das ist meine Nachricht, mein Häuptling. Sie ist tot. Und die Krieger von Flache Perle waren so niedergeschlagen, dass sie sogar vergaßen, Wachen aufzustellen. Doppelknochen und ich konnten noch näher heranschleichen und sie belauschen. So erfuhren wir, dass Rote Schlinge ermordet wurde.«
Einen Augenblick lang war im Großhaus nur das Prasseln des Feuers zu hören.
»Wer?«, fragte Rotelster mit funkelnden Augen.
»Das weiß ich nicht«, sagte Amselflügel achselzuckend. »Viele hatten uns in Verdacht, man hatte uns in der Gegend gesehen. Andere verdächtigten auch Wilder Fuchs, den Sohn von Schwarzer Dorn. Ich hörte Gemurmel hinter den Häusern. Einige verdächtigten Kupferdonner und wieder andere Jagender Falke selbst. Meine Krieger waren es jedenfalls nicht, also muss es einer von den anderen gewesen sein, nicht wahr?«
»Hast du keinerlei Spuren von anderen Angreifern gesehen … von den Conoy vielleicht?«
»Nein, Weroanzi. Aus dem Gerede im Dorf ging hervor, dass Rote Schlinge nicht vergewaltigt wurde.
Dass keine Trophäen genommen wurden. Dass keinerlei Zeichen gefunden wurden. Es geht also nicht um einen Krieg; es war Mord.«
Zum ersten Mal in jener Nacht warf Maisjäger den Kopf zurück und öffnete den Mund. Der fette Leib wurde von seinem Gelächter nur so geschüttelt.
Neuntöter und Steinknolle standen am Anlegesteg und hielten sich abseits von den anderen Kriegern, die sich für die Heimfahrt nach Flache Perle bereitmachten. Der Nebel hatte sich gehoben. Das Wasser war klar und ruhig. Sie würden bald zu Hause sein.
Neuntöter neigte den Kopf zur Seite und beobachtete Steinknolle, der geistesabwesend den Stamm einer Esche bearbeitete. Dem Krieger schien es Vergnügen zu bereiten, den Daumennagel in den Stamm zu graben und kleine Halbmonde aus der grauen Rinde herauszulösen.
»Ich glaube, ich verstehe, Häuptling. Wenn du mir ein Kupferstück schickst, soll ich Wilder Fuchs nach Flache Perle bringen. Wenn du mir eine Pfeilspitze aus Stein schickst, soll ich ihn so bald wie möglich töten. Wenn du mir eine Vogelfeder schickst, hast du den wirklichen Mörder gefunden, und ich kann nach Flache Perle zurückkehren. Wenn ihn unterdessen jemand angreifen sollte, habe ich ihn unter Einsatz meines Lebens zu schützen und dir sofort mitzuteilen, wer der Angreifer war.« Er machte eine Pause. »Ein sonderbarer Befehl, Häuptling.«
Neuntöter stemmte die Hände in die Hüften. »Es ist eine sonderbare Situation, sonst stünde ich nicht hier und redete so mit dir. Ob ich nun in meinem Herzen deinen Entschluss, Schwarzer Dorn zu warnen, gebilligt hätte oder nicht - du hast dich gegen mich gestellt. Früher hätte ich dir mein Leben anvertraut. Erfülle also deinen Auftrag, dann kann ich dir vielleicht eines Tages wieder vertrauen.«
»Ich habe getan, was ich tun musste, um
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