Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
klein und so schwächlich aus. Dabei wurden sie ganz bestimmt von einem Suchtrupp verfolgt. Wie sollten sie dem jemals entkommen? Und schlimmer noch, sie vergeudeten kostbares Tageslicht. Um diese Zeit hätten sie alles daransetzen müssen, um ihren Vorsprung zu halten - anstatt Vögel zu fangen.
Polterer blieb keuchend neben ihr stehen und spähte über die Lichtung. »Wo willst du das Netz auslegen?«
»Dort drüben vor den Rosenbüschen. Dahinter können wir uns gut verstecken. Los, komm.« Als Zaunkönig und Polterer sich wieder in Bewegung setzten, flogen die Zeisige auf. Ihre gelben Bäuche leuchteten, als sie hektisch umherflatterten und sich schließlich in den unteren Zweigen der Bäume ganz in der Nähe niederließen.
Zaunkönig kniete sich in den Schnee und Polterer ging neben ihr in die Hocke. Sorgfältig legte sie das Netz und die dazu gehörende Schnur zu einem Kreis aus, der etwa sechs Hand im Durchmesser maß. Das Netz war mit den verschieden großen Löchern und verschieden dicken Rindenfasern bestimmt kein Kunstwerk, aber es würde seinen Zweck erfüllen. Zaunkönig hörte deutlich die Stimme ihrer Mutter: Das, meine liebe Tochter, ist eine Schande. Selbst ein Wolf könnte durch diese Maschen schlüpfen. Ein flüchtiges Lächeln zupfte an ihren Lippen. Sie suchte sich zwei Stöcke, ungefähr so lang wie ihr Arm, und steckte sie in den Schnee. Dann hängte sie das Netz oben an den Ästen ein, breitete es aus und häufte Schnee auf den unteren Rand, um es zu fixieren. Als sie fertig war, sah die Falle aus wie ein Segel.
»Hier«, sagte Polterer, der ein paar Krumen Maisbrot in der Tasche des Umhangs gefunden hatte und sie Zaunkönig reichte. Seine schwarz werdenden Finger zitterten dabei.
Zaunkönig nahm sie ihm vorsichtig ab und streute die Krumen unter das Netz auf den Schnee. »Polterer, verkriech dich schon mal hinter den Büschen. Ich komme gleich nach.«
»Ja, ist gut, Zaunkönig.«
Seine Beine schwankten unter ihm, als er sich hochrappelte. Streifen milchigen Sonnenlichts fielen auf sein hübsches Gesicht. Als er an Zaunkönig vorbeistapfte, streckte er eine kleine Hand aus und berührte kurz ihren Arm.
Zaunkönig befestigte noch rasch die beiden Enden der Schnur an den Stöcken, die das Netz hielten, griff dann in die Mitte des Schnurknäuels und rollte es auf dem Weg zu den Rosenbüschen hinter sich ab.
»Sind wir soweit?«, wisperte Polterer.
»Gleich.« Zaunkönig spannte die Schnur und hockte sich hin. »So, jetzt kann's losgehen. Leise.« Polterer nickte und legte sich auf den Bauch. Seine Augen waren so schwarz wie die dunkelsten Schatten des Waldes.
Es duftete nach frischem Grün. Die Waldtiere hatten außen an den Büschen die Rosentriebe abgefressen, doch die von den Dornen geschützten Hagebutten waren unberührt geblieben. Zaunkönig sah die roten Früchte in dem dichten Buschwerk leuchten und hätte am liebsten ihre Handschuhe angezogen und welche gepflückt, doch sie verhielt sich mucksmäuschenstill.
Die Zeisige hüpften in den Bäumen über ihnen fröhlich zwitschernd und tschirpend von Ast zu Ast. Einige legten ihr Köpfchen schief und beäugten neugierig die Falle.
»Zaunkönig?« wisperte Polterer. »Was tut sich? Sind …« »Schhhl«
Er biss sich auf die Lippen.
Zwei der Vögel flatterten herunter, in die Nähe der Falle, und begannen im Schnee zu picken. Zaunkönig fasste die Schlaufe fester.
Jetzt erhob sich auch der Rest der Schar aus den Bäumen und landete flügelschlagend auf der Lichtung.
Polterer verdrehte den Kopf so merkwürdig, dass Zaunkönig sich erst wunderte, dann aber sah, dass er ein Loch im Busch entdeckt hatte, durch das er die Falle beobachten konnte.
Einer der Zeisige kam neugierig näher herangehüpft. Er pickte um den Stecken herum und inspizierte das Netz, das Köpfchen einmal nach rechts und dann nach links neigend. Irgendetwas schien ihm verdächtig vorzukommen, doch er wusste anscheinend nicht, was. Er pickte noch eine Weile sie Grassamen auf, wobei er nach den Brotkrumen schielte, dann verharrte er und betrachtete noch einmal das merkwürdige Gebilde. Schließlich hüpfte er darunter und schnappte sich eine Krume, die ihm zu schmecken schien, denn er pickte hastig weiter.
Inzwischen waren auch die anderen aufmerksam geworden. Mit lautem Gezwitscher gesellten sich noch fünf weitere Zeisige unter das Netz.
Zaunkönig konnte Polterers flachen Atem hören. Er drehte den Kopf und sah sie gespannt an. Mit einer einzigen,
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