Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
und ging weg. Sie hatte keinen Ehemann und keine Kinder. Ihre Eltern waren schon vor vielen Wintern gestorben, und die Schicksale ihrer Cousins, Tanten und Onkel konnten warten.
    Sie watete vorsichtig den Weg entlang, der hinunter zu der Wiese führte, wo sie zuvor dünne Rauchschwaden zu sehen geglaubt hatte.
    Hinter ihr brach ein schriller Schrei los, gefolgt von einem hemmungslosen Schluchzen. Sie drehte sich nicht um. Heute Abend und auch die kommenden Tage und Nächte würde sie geduldig den tragischen Geschichten lauschen und die Trauernden trösten müssen.
    Doch im Augenblick war es viel wichtiger, das auszukundschaften, was mehr und mehr nach einem Lagerplatz aussah.
    Elchgeweih verließ den Pfad und ging quer über die Wiese auf die noch glimmende Feuerstelle zu. In dem weißen Aschebett rauchten noch zwei Holzstücke, die bei jedem Windhauch rot aufglühten. Auf den Steinen, die die Feuergrube begrenzten, lagen die abgenagten Knochen eines Wildkaninchens. Der Mann und die Frau hatten sich ein Lager geteilt, die Abdrücke ihrer Körper waren noch deutlich im Gras zu sehen. Fünf Schritte von ihnen entfernt hatte Blauer Rabe die Nacht an einen Findling gelehnt im Sitzen verbracht, entweder um sich dem Wind zu schützen, oder um sich außerhalb des Feuerscheins zu halten für den Fall, dass ihre Verfolger nächtens das Lager stürmten. Vielleicht traute er auch seinen neuen Verbündeten nicht ganz über den Weg.
    Elchgeweih hob den Blick und folgte den Spuren, die quer über die Wiese nach Norden verschwanden.
    »Quellwasser hat dir soeben einen kleinen Vorsprung verschafft, mein alter Freund«, murmelte sie vor sich hin. »Nutze ihn weise.«

24. Kapitel
    Polterer stolperte vor Zaunkönig den aufgeweichten und abschüssigen Pfad hinab; er rannte nach Hause, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen. Schon so oft war er ausgerutscht und hingefallen, dass seine Mokassins und der Saum des weißen Fuchsumhangs dick mit Schlamm verkrustet waren. In seinem kurzen schwarzen Haar hatten sich Blätter und kleine Zweige verfangen.
    Zaunkönig folgte ihm in etwas gemäßigterem Tempo. In der rechten Hand hielt sie ihren Bogen; den Umhang hatte sie über die Schulter zurückgeschlagen, um ungehindert zu ihrem Köcher greifen zu können. Die kalte Nachmittagsbrise wirbelte ihr das Haar ins Gesicht. Ihre Leggins und das knielange Hemd waren ebenfalls über und über mit Schlamm bespritzt, und die weißen Spiralen, die das blaue Hemd verzierten, hatten nach dem tagelangen Fußmarsch einen schmutzig-braunen Farbton angenommen.
    Je näher sie dem Buntfelsendorf kamen, desto durchdringender wurde der beißende Rauch- und Verwesungsgeruch.
    Obwohl es keine Anzeichen dafür gab, dass vor ihnen jemand diesen Weg benutzt hatte, spähte Zaunkönig immer wieder aufmerksam in alle Richtungen, um sicher zu gehen, dass sie nicht von irgendwelchen Augenpaaren beobachtet wurden. Ob das nun die Augen von Geistern oder von lebendigen, atmenden Kriegern waren, nach denen sie Ausschau hielt, das wusste sie nicht, aber Polterer und sie hatten bislang so viel Glück gehabt, dass sie fürchtete, es würde nicht mehr lange anhalten.
    Ihr Blick suchte den Wald ab. Uralte Platanen säumten den Weg. Hoch über ihren Köpfen hatten sich die Äste ineinander verwoben und ein dichtes Dach gebildet, durch das nur wenige Sonnenstrahlen drangen. Eichhörnchen hüpften laut schnatternd durchs Geäst.
    Als Zaunkönig merkte, dass sie Polterer aus den Augen verloren hatte, rannte sie so schnell es der tiefe Schlamm zuließ hinter ihm her. Am Fuße des Abhangs angekommen, stieß sie einen erstickten Schrei aus und ruderte wild mit den Armen, um ihre Schritte zu bremsen. Doch ihre Beine liefen einfach weiter, trotz des grauenvollen Anblicks, der sich ihr bot.
    »Er ist tot. Er ist t-tot!« Ihre Lippen mussten zweimal diesen Satz formen, ehe ihre Augen es glaubten. Sie rutschte aus und fiel in den Schlamm, mit weit aufgerissenen Augen den Mann anstarrend, der zusammengesunken an dem Stamm einer Platane kauerte. Ein Kriegspfeil der Wanderer hatte seine Brust durchdrungen und ihn an den Baumstamm genagelt, ein Beil seinen Schädel gespalten. Wilde Tiere hatten dem Leichnam das Fleisch von Armen und Beinen gefressen und ein klaffendes Loch in den Bauch gerissen.
    Rechts von ihr hockte Polterer und sagte mit kaum hörbarer Stimme: »Sein Name war Pfeifender Habicht.«
    Sie maßen sich mit stummen Blicken. In ihren Augen stand Furcht, in den seinen hilfloser Zorn.

Weitere Kostenlose Bücher