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Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken

Titel: Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
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dich aus der Hütte geschleppt hatten? Hast du da deine Mutter noch mal gesehen?« Er befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. »Nein. Ich habe sie nirgendwo im Dorf gesehen. Sag mal, Zaunkönig, glaubst du, dass sie vielleicht… gar nicht…« Zaunkönig trat hinter ihn und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Vielleicht, aber ich denke, wir sollten uns noch einmal gründlich nach ihr umsehen. Weißt du noch, was sie an dem Tag angehabt hat? Das würde uns bei der Suche helfen.« Polterer zuckte mit einer hoffnungslosen Geste die Schultern. »Das einzige, woran man sie erkennen könnte - etwas, das wahrscheinlich nicht verbrannt ist oder was die Tiere nicht gefressen haben, ist ihr silberner Anhänger.« Er malte mit dem rechten Handschuh einen Kreis auf die andere Hand, um Zaunkönig eine Vorstellung von der Größe des Anhängers zu geben. »Auf der Silberplatte ist ein umgedrehter Baum eingraviert.«
    »Und auf der Stirn trägt sie eine Tätowierung, einen grünen Baum, ist das richtig?« Er nickte und sagte leise. »Danke, Zaunkönig. Danke für deine Hilfe.«
    »Weißt du, das Beste wäre, wenn du dich dort drüben bei den Hütten umsiehst, und ich suche inzwischen die andere Seite des Dorfplatzes ab.«
    »Einverstanden.«
    Mit gesenktem Kopf ging Polterer auf den Trümmerhaufen zu, der früher einmal sein Zuhause gewesen war. Zaunkönig wollte sich gerade umdrehen, als sie sah, wie er sich zwischen den verkohlten Holzbalken bückte und etwas aufhob. Er drückte es kurz an seine Brust und schob es dann in die Tasche seines Umhangs.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes bot sich Zaunkönig ein ähnlich grauenvolles Bild. Auch hier war der Boden mit Toten übersät - überwiegend Kinder. In ihren Rücken steckten Pfeile. Zwei kleine Buben hielten sich im Tod mit den Armen umschlungen - so als wäre ihnen gerade noch so viel Zeit geblieben, sich gegenseitig festzuhalten. Selbst den Wölfen war es nicht gelungen, die beiden Kleinen auseinander zu reißen.
    Übelkeit stieg in ihrer Kehle hoch.
    Springender Dachs hatte erzählt… er hatte erzählt, dass sie als Erstes die Hütte von Wilde Rose überfallen und Polterer geraubt hätten. Warum mussten sie dann weiter töten? Warum mit ihren Pfeilen auf kleine Kinder schießen, die in wilder Panik davongelaufen waren? Was hätten sie ihnen schon antun können?
    Eine Windbö fegte durch das Tal und zauste den schwarzen Haarschopf eines der toten Säuglinge. Zaunkönig glaubte den feinen Flaum zwischen den Fingern zu fühlen, zart und seidig… Ihr Magen revoltierte; sie fiel vornüber auf die Knie und erbrach sich. Ihr Bogen blieb zwei Schritte vor ihr liegen. Beißende Tränen schössen ihr in die Augen, als ein zweiter Krampf sie schüttelte. Der Gestank nach verwesten Leichen und verkohltem Holz wurde mit jedem Atemzug unerträglicher. Zaunkönig würgte und erbrach sich immer wieder, bis sie nur noch grüne Galle spuckte und mühsam nach Luft rang.
    Dann setzte sie sich auf.
    Eine unsägliche Wut stieg in ihr auf, die sich wie ein tödliches Gift in ihrem Körper ausbreitete. Sie brachte ihren Kopf und ihre Brust zum Glühen, ihre Haut begann zu prickeln - und plötzlich waren ihre Gedanken glasklar. Nacheinander erschienen die Gesichter all jener Krieger vor ihrem inneren Auge, die hier ihr Unwesen getrieben hatten, und sie hasste jeden einzelnen von ihnen. Hasste sie mit einer Inbrunst, die sie niemals für möglich gehalten hätte. Wenn diese Männer jetzt vor ihr stünden… sie hätte sie ohne mit der Wimper zu zucken getötet.
    Aber das sind doch meine Verwandten. Wie kann ich ihnen den Tod wünschen? Elchgeweih hat mir beigebracht, wie man eine Pfeilspitze herstellt. Wolf mit dem Schwarzen Schwanz hat Himmelsbogen gezeigt, wie man eine Lanze wirft. Denk doch einmal nach, Zaunkönig! Diese Menschen können das nicht getan haben. Elchgeweih hätte niemals ein vier Winter altes Kind von hinten durchbohrt. Wolf mit dem Schwarzen Schwanz würde niemals einer Frau den Bauch aufschlitzen und dem Ungeborenen den Kopf zertrümmern. Das müssen… andere Krieger gewesen sein. Freunde von Springender Dachs. Die haben diese Gräueltaten begangen.
    Zaunkönig nickte wie zur Bestätigung ihrer Gedanken und griff nach ihrem Bogen. Großvater Tagbringer senkte sich über dem westlichen Horizont, und das schwächer werdende Licht erweckte in den Ruinen geisterhafte Schatten zum Leben. Verkohlte Arme, die sich vorher ins Nichts gereckt hatten, griffen

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